Die Frau des Zeitreisenden
und gemein sein. Es war, als hätte ich mich selber geschwängert und Mark hat nichts damit zu tun.«
Ich bin froh, als Clare hereinkommt. Sie trägt eine lustige grüne Zipfelmütze, an der eine große Quaste herunterhängt, und einen hässlichen gelben Skipullover über blauen Jeans. Ihre Haare sind nass, sie ist rot von der Kälte. Wie sie lächelnd und gut gelaunt über den pompösen Perserteppich auf Strümpfen zu mir kommt, merke ich, dass sie hierher gehört, sie ist kein Irrtum, sie hat einfach nur ein anderes Leben gewählt, und das freut mich. Ich stehe auf, und sie fliegt mir um den Hals, dann aber dreht sie sich ebenso schnell zu Sharon um und sagt: »Ich hab’s eben erfahren! Herzlichen Glückwunsch!«, und schon umarmt sie Sharon, die mich überrascht, aber lächelnd über Clares Schulter hinweg ansieht. Später sagt Sharon zu mir: »Ich glaube, du hast hier die einzige Nette erwischt.« Ich schüttle den Kopf, aber ich weiß, was sie meint.
Clare: Bis zum Abendessen ist es noch eine Stunde hin, niemand wird merken, wenn wir weg sind. »Komm mit«, sage ich zu Henry. »Wir gehen nach draußen.«
»Muss das sein?«, brummt er.
»Ich will dir was zeigen.«
Wir ziehen unsere Mäntel, Stiefel, Hüte und Handschuhe an, trampeln durchs Haus und zur Hintertür hinaus. Am Himmel strahlt ein klares Ultramarinblau, das vom Schnee auf der Wiese heller reflektiert wird, und in der dunklen Baumlinie, die den Anfang des Waldes markiert, stoßen die beiden Blaus aufeinander. Für Sterne ist es noch zu früh, aber ein Flugzeug bahnt sich blinkend seinen Weg durch den Weltraum. Vom Flugzeug aus stelle ich mir unser Haus als winzigen Lichtpunkt vor, wie einen Stern.
»Hier lang.« Auf dem Weg zur Lichtung liegen fünfzehn Zentimeter Schnee. Ich muss daran denken, wie oft ich über die nackten Fußabdrücke getreten bin, damit niemand die Spur entdeckte, die sie auf dem Weg zum Haus hinterlassen hatten. Jetzt sind hier Rehspuren und die Abdrücke von einem großen Hund.
Die Stoppeln von toten Pflanzen unter Schnee, Wind, das Knirschen unserer Stiefel. Die Lichtung ist eine glatte Schale aus blauem Schnee, der Stein eine Insel mit einer Pilzkappe. »Das ist es.«
Henry steht da, die Hände in den Manteltaschen. Er dreht sich um und lässt den Blick in die Runde schweifen. »Das ist es also«, sagt er.
Ich suche in seinem Gesicht nach einem Zeichen des Erkennens. Nichts. »Hast du manchmal ein déjà vu ?«, frage ich ihn.
Henry seufzt. »Mein Leben ist ein einziges langes déjà vu.«
Wir kehren um, gehen auf unseren eigenen Spuren zurück zum Haus.
Später:
Ich hatte Henry vorgewarnt, dass wir uns zum Essen am Weihnachtsabend schön machen. Als ich ihn jetzt in der Eingangshalle treffe, glänzt er in einem schwarzen Anzug, weißem Hemd, kastanienbrauner Krawatte mit Nadel aus Perlmutt. »Guter Gott«, sage ich. »Sogar deine Schuhe sind geputzt!«
»Stimmt«, gibt er zu. »Lächerlich, oder?«
»Du siehst perfekt aus: ein netter junger Mann.«
»Dabei bin ich doch der Inbegriff des schändlichen Bibliothekars. Eltern, nehmt euch in Acht.«
»Sie werden dir zu Füßen liegen.«
»Ich liege dir zu Füßen. Komm her.« Henry und ich stehen oben an der Treppe vor dem großen Spiegel und bewundern uns. Ich trage ein hellgrünes schulterfreies Seidenkleid, das einst meiner Großmutter gehört hat. Ich habe ein Foto von ihr, auf dem sie es am Silvesterabend 1941 trägt. Sie lacht. Ihre Lippen sind dunkelrot, in der Hand hält sie eine Zigarette. Der Mann auf dem Foto ist ihr Bruder Teddy, er fiel sechs Monate später in Frankreich. Auch er lacht. Henry legt mir die Hand um die Taille und zeigt sich erstaunt über die vielen Stäbchen und Mieder. Ich erzähle ihm von Grandma. »Sie war kleiner als ich. Es tut nur weh, wenn ich mich setze, dann piksen mich die Enden der Stahldinger in die Hüften.« Henry küsst meinen Hals, da hustet jemand und wir springen auseinander. Mark und Sharon stehen in der Tür von Marks Zimmer, das sie teilen dürfen, nachdem unsere Eltern die Sinnlosigkeit getrennter Betten widerstrebend eingesehen haben.
»Schluss damit jetzt«, sagt Mark mit seiner ärgerlichen Oberlehrerstimme. »Habt ihr denn gar nichts aus den schmerzvollen Erfahrungen eurer älteren Geschwister gelernt, Kinder?«
»Doch«, erwidert Henry. »Allzeit bereit.« Lächelnd klopft er auf seine Hosentasche (die derzeit leer ist), Sharon kichert, und wir segeln die Treppe hinunter.
Im Wohnzimmer haben alle
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