Die Frau, die ein Jahr im Bett blieb (German Edition)
»Gestört und gefährlich.«
»Es war sehr gütig von Ihnen, sie bei sich aufzunehmen.«
»Gütig wohl kaum … Ich hatte keinen Einfluss darauf. Und ich finde sie unmöglich.«
Stanley sagte: »Wir sind alle empfindlich, und deshalb bin ich hier. Mir ist wichtig, dass sie wissen, ich habe nichts getan, was das Mädchen verängstigt haben könnte. Ich habe höchstens einen flüchtigen Blick auf ihre seltsame Kleidung geworfen, mehr nicht.«
Eva sagte: »Das müssen Sie mir nicht sagen. Ich weiß, Sie sind ein Ehrenmann, ein Mann mit Prinzipien.«
»Ich habe mit keiner Menschenseele gesprochen, seit ich von der Polizeiwache zurück bin. Das ist eine Feststellung, ich will kein Mitleid. Ich habe viele Freunde, an die ich mich wenden kann, und ich bin Mitglied vieler Clubs und Einrichtungen, aber wie Sie sehen, ist mein Gesicht nicht mein Kapital.« Er lachte. »Ich gestehe, mich nach meinem kleinen Flugzeugunfall anfangs in Selbstmitleid gesuhlt zu haben – wie die meisten von uns. Einige haben geleugnet, Schmerzen zu haben – haben gesungen, gepfiffen – jedenfalls die mit Lippen. Die waren es, die am ehesten durchdrehten. Der Geruch von vergammeltem Fleisch war unbeschreiblich. Man versuchte, ihn mit Izal zu übertünchen – ein Desinfektionsmittel, hergestellt aus Kohle, glaube ich – aber … er war immer da, in deinem Mund, auf deiner Uniform. Aber wir haben viel gelacht. Wir nannten uns Laborratten. Weil Sir Archie McIndoe an uns herumexperimentiert hat, er meinte, er würde die Grenzen der plastischen Chirurgie ausloten – was er natürlich auch tat. Sechs Wochen lang klebte ein Hautlappen von meinem Oberarm dort, wo vorher meine Nase war.
Archie hatte einen Narren an uns Jungs gefressen. Ich würde sogar sagen, er liebte uns wie ein Vater. Er lachte immer und sagte: ›Heiratet ein Mädchen mit schlechten Augen.‹ Viele der Jungs heirateten die Krankenschwestern, doch ich befolgte seinen Rat und heiratete ein reizendes Mädchen mit schlechten Augen namens Peggy. Wir waren füreinander da. Im Dunkeln waren wir beide normal.«
Eva sagte: »Ich weiß, das wollen Sie nicht hören, aber ich sag’s trotzdem. Ich finde Sie unglaublich tapfer, und ich hoffe, wir werden Freunde.«
Stanley blickte aus dem Fenster und schüttelte den Kopf. »Die unbequeme Wahrheit ist, Mrs. Biber, dass ich die Blindheit meiner Frau ausgenutzt habe, und ich … « Er verstummte und sah sich im Zimmer um, suchte etwas, worauf sein Blick ruhen konnte. Es war ihm unmöglich, Eva ins Gesicht zu sehen. »Während meiner Ehe, seit wir von unserer vierzehntägigen Hochzeitsreise zurück waren, besuchte ich einmal pro Woche eine sehr ehrbare Dame und bezahlte ihr ziemlich viel Geld dafür, dass sie Sex mit mir hatte.«
Evas Augen weiteten sich. Dann sagte sie: »Ich weiß seit einiger Zeit, dass mein Mann mit einer Kollegin namens Dr. Titania Noble-Forester eine Affäre hat.«
Evas Vertrauen ermutigte Stanley, ihr mehr zu erzählen. »Seit 1941 bin ich voller Wut. Wenn meine Frau etwas fallen ließ oder ihren Tee umkippte oder ein Glas Wasser umstieß, reagierte ich maßlos gereizt. Ständig stieß sie gegen Möbel und stolperte über Teppiche, und sie weigerte sich, irgendwelche Hilfsmittel zu benutzen. Sie beherrschte die Blindenschrift. Gott weiß, warum sie die gelernt hat – ich bestellte ihr Bücher, doch sie rührte sie nicht an. Aber ich habe sie geliebt, und als sie starb, sah ich keinen Sinn mehr im Leben. Mit ihr an meiner Seite waren die schrecklichen Träume nachts fast erträglich. Wenn ich schreiend aufwachte, hielt meine Frau meine Hand und sprach von den Dingen, die wir gemeinsam erlebt, den Ländern, die wir bereist hatten.« Er setzte ein schmales Lächeln auf, das als eine Art Satzzeichen zu dienen schien.
Eva fragte: »Und ihre Freundin, lebt sie noch?«
»Oh, ja, ich sehe sie noch immer einmal im Monat. Wir haben allerdings keine sexuelle Beziehung mehr. Sie ist ziemlich gebrechlich. Ich zahle ihr fünfundzwanzig Pfund, damit sie mir zuhört und mich in den Arm nimmt.«
»Wie heißt sie?«
»Celia. Ich habe mich immer danach gesehnt, ihren Namen laut auszusprechen. Bei jemandem, der es verstehen würde. Sie verstehen es doch, nicht wahr, Mrs. Biber?«
Eva streichelte die Bettdecke neben sich, und Stanley setzte sich auf die Bettkante und nahm ihre Hand. Beide hörten Brians und Poppys Stimmen unten an der Haustür.
Brian sagte gerade: »Selbstmord hilft dir auch nicht weiter. Niemand verlangt das von
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