Die Frau, für die ich den Computer erfand
ja immer auch eine Verarmung, aber Sie wenden nichts ein. Sie sind im Kreuzberger Wohnzimmer, Sie sitzen gewissermaßen auf dem Sofa, das wir gar nicht mehr hatten, und schauen zu, wie wir die Relaisketten aneinanderschalten. Mit diesen Händen, hier! Hartmut hat geholfen, das war ja alles erst mal Neuland für mich. Wir bastelten am elektromagnetischen Kompromiss und gleichzeitig malten wir uns die Zukunft aus. Er hat an der TH mit seinen Röhren experimentiert, er war der Einzige im Reich, sogar in Europa, er und sein Professor, der die Entwicklung zur elektronischenTechnik betrieben hat … Ja, so langsam, ganz langsam fing ich an zu glauben, dass der verfluchte Fleiß auch mal belohnt wird irgendwann. Wir haben geahnt, nein, wir haben gewusst, dass Rechenmaschinen mit Röhren tausendmal schneller arbeiten können und mehr als tausendmal schneller. Es war phantastisch! Ein Traum wurde wahr, den Generationen von Mathematikern geträumt hatten! Wir haben nur den Fehler gemacht, einigen Professoren und Kollegen unsere Versuche und Konzepte vorzuführen, und das ist völlig danebengegangen … Vertausendfachen? Und so viele Röhren? Und so viel Strom? Die haben uns für Spinner gehalten, und wir sind dann bei den Fachleuten sehr, sehr vorsichtig geworden mit der Zukunftsmusik. Es konnte ja keiner wissen, dass wir schwer untertrieben hatten, auch wir nicht …
(Denken wird Rechnen und Rechnen wird Denken)
Das war die stürmischste, die produktivste Zeit, die Entwicklung der A2 und der A 3, und die Arbeit mit Hartmut. Die Einzelheiten, die kleinen Fortschritte, das Vortasten, die täglichen Schritte in die Terra incognita der Computerei, die hab ich nicht mehr alle im Kopf, die muss ich nicht im Kopf haben. Wenn man einmal ins Reden kommt und alles hochsteigt, die ganze Plackerei und der Spaß, den wir hatten, dann soll man sich ja nicht einbilden, es sei so gewesen, so wiedie wenigen, mageren Wörter es andeuten, die einem grade in den Sinn flutschen. Deshalb müsste man eigentlich noch viel mehr in die Einzelheiten … Ich will sagen, die Vergangenheit oder besser die verschiedenen Vergangenheiten, die schieben sich ja ineinander und übereinander. Wie die Erdplatten, Stichwort Kontinentalverschiebung. Es kostet mich immer mehr Anstrengung, sie auseinanderzuhalten, auseinanderzunehmen, bestimmte Zeiten, Tage, Stunden oder Gedanken genau zu fixieren und mich nicht zu verirren in diesem ganzen Erinnerungssalat … Ja, Hardware und Software waren praktisch ein und dasselbe, so unterentwickelt waren wir noch … Ich lebte wie im Rausch damals, ich hab mir sehr konkrete Gedanken über Künstliche Intelligenz gemacht, über mechanische Gehirne und so weiter. Meine Tagebücher belegen das. Nicht alles hab ich retten können, aber doch einiges. Und was sind die Museumsleute heute scharf auf das Gekritzel von damals … Auch da hätten die Amis von mir abschreiben können, als sie, ein paar Jahre später, alles noch mal durchgegrübelt haben … All die Erleuchtungen! Der Aussagenkalkül! Können Sie je ermessen, was diese Entdeckung für eine Goldader gewesen ist? Nein, das können Sie nicht. Nicht weil die Goldader mir was eingebracht hätte, nein, im Gegenteil. Nein, das können Sie nicht ermessen und das werden Sie nie ermessen, Sie Armer. Sie wissen ja gar nicht, was Ihnen alles entgeht an tiefsten undhöchsten Befriedigungen, weil Sie das Pech haben, kein Mathematiker zu sein. Und nicht mal ein Logiker! … Sie wissen gar nicht, wie herrlich das ist, wenn nur Zahlen zählen und Beweise, aber keine Wertungen, die immer fragwürdig sind, und keine Meinungen, die sowieso wechseln … Das ist das Beste an Mathematikern, wir sind keine Rechthaber, wir können gar keine sein. Bei uns gilt: Beweis ist Beweis. Und wer sich an falsche Aussagen klammert, macht sich nur lächerlich. Deshalb ist unsere Zunft ziemlich frei von allem unnötigen Streit und Geprotze, deshalb sind wir einigermaßen glückliche Leute, würde ich behaupten, und das hat meine Schwester verstanden … Wie gesagt, darauf musste auch erst mal jemand kommen, dass es Elementaroperationen gibt, in die sich sämtliche Rechen- und Denkoperationen auflösen lassen! Denken wird Rechnen und Rechnen wird Denken! An dieser kopernikanischen Wende mitgedreht zu haben, das erfüllt mich heute noch mit … Nun ja, ich sag’s mal ganz mathematisch nüchtern, mit Stolz, und es ist mir egal, ob das in Ihren Ohren nach
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