Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frau in Rot: Roman (German Edition)

Die Frau in Rot: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau in Rot: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margot S. Baumann
Vom Netzwerk:
lachen, verschluckte sich und begann zu husten.
    »Sagt man denn nicht so?« Ihre Großtante schaute sie überrascht an. Anouk wedelte zur Antwort nur mit der Hand, und Valerie fuhr fort. »Wir hatten dazumal noch kein Telefon, und daher ging ich zum Brestenberg, um den Ruflis mitzuteilen, dass wir nicht kommen könnten. Ich ging etwas früher als verabredet los, weil das Gewitter schneller das Seetal herabkam, als ich gedacht hatte, und ich wollte ja nicht im Regen herumlaufen. Es blitzte auch bereits und wurde rasch dunkel, obwohl es erst Nachmittag war. Ich kam also beim Bad an. Weit und breit war niemand zu sehen, daher ging ich zu dem Holzhaus, in dem heute der Kiosk untergebracht ist. Dazumal war das ein morsches Konstrukt aus dunklen Balken, in dem sich die Damen- und Herrenumkleidekabinen befanden. Ich setzte mich also auf eine Bank vor die Hütte und wartete.«
    Anouk beugte sich vor. Ihr lief ein Schauer nach dem anderen über den Rücken, und sie wagte kaum zu atmen. Sie war sich sicher, dass Valeries Erzählung nun an der Stelle angelangt war, an der ein wichtiges Verbindungsstück zu den jüngsten Geschehnissen ans Tageslicht kommen würde.
    »Da hörte ich auf einmal Stimmen in der Herrengarderobe, die ich eindeutig Walter und Herbert zuordnen konnte. Die beiden stritten sich. Ich wollte schon anklopfen und mich bemerkbar machen, als Violas Name fiel.«
    Ihre Großtante brach ab.
    »Ich war damals ein neugieriges, kleines Ding«, Valerie lachte, »deshalb stieg ich auf die Bank und spähte durch das Oberlicht über der Tür nach drinnen.«
    Sie brach erneut ab und atmete tief durch. Anouk rutschte währenddessen vor lauter Aufregung auf ihrem Sessel hin und her. Max schien es ähnlich zu gehen, nur dass er steif wie ein Brett auf seinem Platz saß und den Mund leicht geöffnet hatte. »Was jetzt kommt, erzähle ich euch nur unter Vorbehalt«, erklärte Valerie. »Ich war fünfzehn, hatte eine blühende Fantasie, und vielleicht war ich auch ein wenig in Walter verliebt und daher gegen Herbert eingenommen, der unsere Familie so offensichtlich ablehnte.
    Ich habe mir über all die Jahre hinweg die Szene immer und immer wieder ins Gedächtnis gerufen. Aber es kann trotzdem sein, dass ich mit der Zeit das eine oder andere Detail vergessen habe, und …«
    »Herrgott noch mal, Tati«, stieß Anouk hervor, »erzähl uns einfach, was passiert ist!«
    Valerie warf ihr einen tadelnden Blick zu. »Kein Grund, mich so anzufahren, Liebes. Du weißt doch, Geduld bringt Rosen.«
    Anouk holte tief Luft und schluckte eine sarkastische Bemerkung hinunter.
    »Ja, du hast recht. Entschuldige! Aber was hast du denn nun genau gesehen?«
    Ihre Großtante nickte zufrieden. »Walter und Herbert saßen am Boden inmitten eines Pentagramms. Sie hatten beide ein komisches Zeichen auf ihrer Stirn, so als würden sie Indianer spielen.«
    Anouk riss die Augen auf. Die Federn, die sich Rufli auf die Stirn gemalt hatte! Die hatte sie schon fast vergessen gehabt.
    »Zwischen ihnen lag ein aufgeschlagenes Buch. Es muss sich dabei um ein sehr altes Exemplar gehandelt haben, denn es war an den Rändern schon ganz zerfleddert. Ich sah, wie Walter aufstand, und habe seine Worte auch nach so vielen Jahren noch ganz genau im Ohr.«

    »Ich habe genug von diesen alten Geschichten, Herbert. Das ist doch alles nur Humbug. Gruselige Märchen, um kleine Kinder zu erschrecken. Ich liebe Viola und werde sie heiraten. Da könnt ihr beide, du und Vater, euch noch so querstellen.«
    »Du bist ein Verräter!«, schrie Herbert aufgebracht. »Wie kannst du dich nur mit dem Gedanken tragen, eine Morlot «, er spuckte das Wort förmlich aus, »zu einer Rufli zu machen? Hast du denn gar nichts aus der Geschichte gelernt? Du beschmutzt die Familienehre!«
    Walter zuckte gleichgültig mit den Achseln. »Und wenn schon. Womöglich ist eine solche Verbindung sogar die beste Lösung, um den jahrhundertelangen Zwist zwischen unseren Familien endlich beizulegen. Viola hat mir berichtet, dass sie ständig dieses Kind sieht, das nach seiner Mutter sucht. Und dass ihr das Angst macht.«
    Herbert sprang auf und ballte die Hände zu Fäusten. »Du hast ihr alles erzählt?«
    Seine Stimme überschlug sich. Walter schüttelte den Kopf. »Nein, aber ich bin sicher, dass diese Erscheinung aufhört, sobald wir verheiratet sind und den ganzen Mist endlich vergessen können.«
    »Niemals!«, schrie Herbert. »Das werde ich nicht zulassen! Wir haben einen Pakt geschlossen, an

Weitere Kostenlose Bücher