Die Frau ohne Gesicht
hin und hoffen, dass noch nichts passiert ist.«
Sie ließen die anderen Frauen in Bergs Obhut zurück und nahmen Paddys Wagen.
Keiner sprach ein Wort während der einstündigen Fahrt. Und obwohl Paddy alles aus dem Wagen herausholte und bei jeder Gelegenheit überholte, schienen sich die Minuten immer länger auszudehnen.
»Ich weiß nicht mal, ob Henriete mit der Waffe umgehen kann«, durchbrach Elza schließlich die Stille, als sie nur noch acht Kilometer von Lewisham entfernt waren. »Sie hat mich gefragt, woher sie eine bekommen kann. Ich hatte das Ding in der Handtasche mitgenommen, nur für alle Fälle.«
Lia sah Paddy an, dass ihm eine böse Bemerkung auf der Zunge lag. Doch bevor er etwas sagen konnte, klingelte Lias Handy. Es war Chief Inspector Gerrish.
»Kazimirs Vanags ist nicht in seinem Geschäft«, berichtete er. Vanags habe den Laden vor etwa einer Stunde verlassen, nach Aussage der jungen Frau, die ihn dort vertrat, in höchster Eile.
»Das ist eine schlechte Nachricht«, sagte Lia.
»Wir werden nun in die Wohnung in der Vassall Street fahren. Denken Sie, dass er dort ist? Und sind dort weitere Personen außer dem Komplizen, welche bewaffnet sind?«
»Ja, ich könnte mir vorstellen, dass Vanags dorthin gefahren ist. Und ja, dort sind vermutlich weitere Personen. Meines Wissens hat er sein Bordell mit mehreren Helfern betrieben, die man als Berufsverbrecher bezeichnen darf.«
»Gut. Wenn Sie etwas hören …«
»… rufe ich Sie an«, versprach Lia.
Paddy fluchte erneut, als er hörte, dass Vanags der Polizei entwischt war.
»Das kann für viele schlecht ausgehen.«
»Aber nicht für die Frauen in Barrowside«, sagte Lia. »Die findet er nicht.«
Elza schenkte ihr ein kleines dankbares Lächeln.
Paddy hielt in einer Seitenstraße und drehte sich zu Elza um.
»Mit Miss Pajala habe ich schon geübt, wie man sich in gefährlichen Situationen verhält, und dass man Anweisungen absolut befolgt. Niemand rennt einfach drauflos! Ihr bleibt beide hinter mir und sprecht nur, wenn ich euch ein Zeichen gebe.«
Elza nickte.
Im fahlen Nachmittagslicht sah das Haus von außen so verlassen aus wie zuvor. Paddy schlich vorsichtig durch den Garten und näherte sich langsam der Hintertür. Lia und Elza folgten ihm. Paddy bedeutete ihnen, sich zu beiden Seiten der Tür zusammenzukauern.
»Frag, ob sie da ist«, forderte er Elza auf.
» Henriete, vai tu tur esi? «
Stille.
Elza wollte aufstehen, doch Paddy stoppte sie mit einer Handbewegung.
»Nochmal.«
» Henriete? Vai tu tur esi? «
Die Antwort kam aus der Tiefe des Hauses.
» Elza, tu ?«
Es war Henriete! Elza sprach kurz mit ihr und wiederholte ihre Worte auf Englisch.
»Sie sagt, wir sollen reinkommen. Sie sagt, es gibt Dinge, die wir wissen müssen.«
Paddy und Lia sahen sich unschlüssig an. Lia griff nach der Klinke. Die Tür ging auf, obwohl Paddy sie abgeschlossen hatte.
Als sie das Wohnzimmer betraten, rief ihnen Henriete aus einem Nebenzimmer auf Englisch zu: »Kommt her!«
Paddy schob die Tür zu dem Schlafzimmer bis zur Hälfte auf. Sie sahen Henriete, die sich an die Wand lehnte. Auf ihrem linken Oberarm zeichnete sich ein großer blutroter Fleck ab.
Sie hielt eine gefährlich aussehende Handfeuerwaffe in der Hand, die auf die andere Seite des Zimmers gerichtet war, dabei ließ sie ihr Ziel keine Sekunde aus den Augen.
»Kommt her«, sagte sie erneut.
»Nicht, solange du eine Waffe hast«, erklärte Paddy. »Wenn du sie weglegst, kommen wir rein.«
Henriete verstand ihn ohne Dolmetscherin. Sie lächelte und sagte etwas auf Lettisch.
»Na schön«, übersetzte Elza. »Dann bleibt, wo ihr seid. Ich will nur, dass ihr es hört.«
Auf der anderen Seite des Raums, die noch hinter der Tür verborgen war, hustete jemand. Die Person, die Henriete mit der Waffe bedrohte.
»Ist das Kazis?«, fragte Elza.
Keine Antwort.
»Kazis Vanags, du verdammter Bastard, bist du da?«, schrie Elza.
Der Mann im Schlafzimmer lachte.
»Hier bin ich«, sagte Vanags. »Ihr Mädchen habt also beschlossen, wegzurennen.«
Lia kannte die Stimme von ihrem Besuch im Laden. Ihr Herz raste.
Obwohl es sich anhörte, als falle es Vanags schwer, zu sprechen, klang seine Stimme nach wie vor drohend. Er redete mit Elza wie mit einem ungehorsamen Haustier, das Strafe verdient hatte.
»Elza, du weißt doch, dass jede Flucht bestraft wird.«
»Frag Henriete, was sie will«, mahnte Paddy.
Elza tat es.
Die Antwort war lang, und Lia hatte Zeit, Henrietes
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