Die Frau ohne Gesicht
Umgebung der Wohnwagen ab. Kamilla und Rozalinde standen rauchend neben dem großen Gefährt. Elza und Daigas Tochter Ausma saßen ins Gespräch vertieft in dem kleineren Caravan. Berg unterhielt sich mit Alise über britische Fernsehserien, während er den Fernseher im großen Wagen einstellte.
Lia überprüfte die Toiletten in beiden Wagen. Niemand.
Paddy saß telefonierend in seinem Auto. Sobald er auflegte, berichtete ihm Lia vom Verschwinden Henrietes. Besorgt suchten sie nun gemeinsam den ganzen Campingplatz ab und überprüften noch einmal beide Wagen. Keine Spur von der alten Dame.
»Ich glaube nicht, dass sie hier verschwunden ist«, meinte Paddy.
Er hatte die ganze Zeit im Auto gesessen und beide Wohnwagen im Auge behalten. Wenn Henriete weggegangen wäre, hätte er sie sehen müssen.
»Fragen wir Elza«, schlug Lia vor.
Sie sahen Elza sofort an, dass sie wusste, worum es ging.
»Nein, Henriete ist nicht hier. Sie hat sich entschlossen, nicht mitzukommen.«
»Wo? Wann?«, drängte Lia.
»Bei der Abfahrt in der Sangley Street. Es war ihre Entscheidung.«
»Warum, wieso hat sie nichts gesagt – was hat sie vor?«
»Ich bin mir nicht sicher. Ich glaube, sie will Vanags zur Rede stellen.«
Lia und Paddy starrten sie sprachlos an.
»Verdammte Scheiße. Hat sie eine Waffe?«, fragte Paddy.
Elza nickte.
»Was für eine? Woher?«
»Eine Handfeuerwaffe«, sagte Elza. »Genauer weiß ich es nicht. Sie gehörte dem Aufpasser in der Vassall Street. Ich habe sie an mich genommen, als ihr ihn gefesselt habt.«
»Gottverdammte, verfluchte Scheiße!«
Paddy drehte sich fluchend um die eigene Achse.
»Ich habe nach der Waffe gesucht, aber da ich keine gefunden habe, dachte ich, der Kerl wäre unbewaffnet gewesen«, sagte er zu Lia.
Dann wandte er sich Elza zu. »Begreifst du, dass das Henriete das Leben kosten kann?«, fuhr er sie an.
Elza sah zuerst ihn, dann Lia an.
»Ja. Aber sie hat es so gewollt.«
Lia hatte das Gefühl, dass plötzlich alles auf dem Kopf stand. Sie rief Mari an und erklärte ihr die Lage.
»Wisst ihr Genaueres über Henrietes Pläne?«, erkundigte sich Mari.
Lia fragte Elza, die den Kopf schüttelte.
»Okay. Wahrscheinlich macht sie sich nicht auf die Suche nach dem Eastern Buffet, weil sie sich in London nicht auskennt. Also wartet sie vermutlich in der Sangley Street, ob Vanags dort auftaucht, wenn er von der Flucht der Prostituierten erfährt«, überlegte Mari.
»Vom Zeitplan her müsste ich demnächst Gerrish anrufen und ihm von Kazis Vanags erzählen.«
»Tu es jetzt. Sofort. Vielleicht kann die Polizei ihn rechtzeitig verhaften. Und ihr bringt inzwischen Henriete in Sicherheit.«
Lias Hand zitterte, als sie erneut die Nummer der Polizeizentrale wählte.
»Ich möchte Chief Inspector Peter Gerrish sprechen. Er erwartet meinen Anruf, ich bin Lia Pajala.«
Diesmal wurde sie sofort verbunden. Gehetzt erzählte sie Gerrish von Vanags, aber der schien nicht gewillt, ihr so einfach zu glauben, und unterbrach sie schon nach wenigen Sätzen:
»Vanags, das ist doch der Besitzer des Ladens, den Sie vorhin erwähnt haben? Das haben wir inzwischen ermittelt. Aber warum verdächtigen Sie gerade ihn, die Frauen ermordet zu haben?«
Lia blieb sachlich, obgleich sie vor Anspannung kaum atmen konnte.
»Meine Quelle kann ich Ihnen nicht nennen. Ich habe auch keine Beweise.«
Sie nannte Gerrish die Adresse in der Vassall Street. Dort werde die Polizei mit Sicherheit Spuren finden, die zumindest eines der Opfer mit der Wohnung und damit mit Vanags in Verbindung brachten.
»Holen Sie den Mann aus dem Laden zum Verhör. Und seinen Komplizen aus der Wohnung.«
»Wissen Sie, ob er bewaffnet ist?«
»Das weiß ich nicht, aber Sie sollten damit rechnen. Und es ist eilig. Ich glaube, er wird versuchen, die Beweise in der Wohnung zu vernichten.«
Gerrish überlegte einen Moment.
»Okay. Wir sprechen uns noch«, erklärte er dann und legte auf.
Lia rief erneut bei Mari an.
»Fahrt sofort in die Sangley Street. Auf euch wird Henriete vielleicht nicht hören, aber auf Elza ganz sicher«, riet Mari.
Elza erhob keinen Widerspruch, als Lia sie bat mitzukommen. Paddy dagegen hatte Bedenken.
»Wir sind kein Stoßtrupp. Dort erwartet uns eine bewaffnete Frau, die ein halbes Jahr gefangen gehalten wurde und vor Trauer fast den Verstand verloren hat. Und möglicherweise kommt Vanags dazu. Keine gute Kombination.«
Aber einen besseren Vorschlag hatte er auch nicht.
»Na schön, fahren wir
Weitere Kostenlose Bücher