Die Frau ohne Gesicht
Schweinerei. Und dann haben wir mit ihr ein Zeichen gesetzt, wie mit Daiga. Aber nicht in einem Volvo. Wir haben sie in einen Hyundai gelegt. Wir sind nicht so dumm wie Anita. Wir hinterlassen keine dummen Spuren.«
Lia, Paddy und Elza sahen Vanags nicht, aber das war auch nicht nötig. Seine Stimme verriet, dass er es genoss, Henriete zu quälen.
»Warum hast du sie getötet?«, fragte Henriete auf Englisch.
»Warum? Blöde Frage«, lachte Vanags.
»Warum hast du sie getötet?«, schrie Henriete.
Die Antwort war kurz.
»Sie waren ungehorsam. Meine Huren gehorchen mir.«
Henriete veränderte ihre Stellung. Sie straffte sich und löste sich von der Wand, stand aufrecht da und ließ Kazis Vanags nicht aus den Augen.
Dann begann sie zu sprechen, diesmal auf Lettisch.
» Bestija! «, sagte sie. » Bestija! «
Den Rest sprach sie zu schnell, sie spuckte die Worte förmlich aus, und Elza kam nicht dazu, sie zu übersetzen.
Henriete schloss ganz kurz die Augen. Dann ging alles blitzschnell. Drei Schüsse erklangen und Lia, Paddy und Elza warfen sich instinktiv zu Boden.
Die Schüsse waren wie kleine Explosionen, deren Druckwelle die Wohnung erfüllte und alles, Raum und Menschen, zu durchdringen schien.
Dann herrschte völlige Stille.
Lias Ohren waren wie taub. Als sie hinzusehen wagte, stand Henriete immer noch an derselben Stelle. Lia sah zu, wie Paddy Daigas Mutter so lange ruhig ansah, bis sie seinen Blick erwiderte. Ihre Wut schien sich in nichts aufgelöst zu haben.
»Okay?«, fragte Paddy.
»Okay«, sagte Henriete. Sie sprach das Wort langsam und vorsichtig aus.
Dann schleuderte sie die Waffe weg. Paddy trat ins Schlafzimmer, sah sich um und verschwand hinter der Tür.
Er sieht nach, ob Vanags tot ist. Kann denn jemand Schüsse aus dieser Nähe überleben?
Nach einer Weile kam Paddy wieder zum Vorschein. Seine Miene beantwortete Lias stumme Frage.
»Wir müssen jetzt weg«, sagte Paddy. »Hier können wir nichts mehr tun.«
Lia und Elza betraten das Schlafzimmer. Elza ging zu Henriete und legte vorsichtig die Arme um sie.
Lia starrte auf die Leiche. Beim Anblick der Blutspritzer wandte sie die Augen ab, doch dann zwang sie sich, genau hinzusehen. Kazimirs Vanags lehnte halb sitzend an der Wand. Offenbar hatte Henriete ihn mit allen drei Schüssen getroffen. In seiner Brust klafften Wunden. Sein Kopf lag starr auf der linken Schulter.
»Kann sein, dass die Nachbarn etwas gehört haben«, sagte Paddy, und endlich begriff Lia. Sie mussten verschwinden.
Lia und Paddy berieten in aller Eile, was mit Henriete geschehen sollte.
»Sie hat Vanags ermordet«, sagte Paddy. »Die ersten Schüsse, als er mit dem Messer auf sie losgegangen ist, waren Notwehr. Aber die drei letzten nicht. Es war eindeutig Mord.«
»Aber sie hat den Mann getötet, der ihre Tochter ermordet hat. Und der sie und ihre Enkelin monatelang gefangen gehalten hat. Den Mann, der ihre Enkelin zur Prostitution zwingen wollte«, wandte Lia ein. »Fahren wir nach Barrowside zu den anderen. Wir brauchen Zeit, um zu überlegen, was richtig ist.«
»Ich fürchte, das werden wir nie wissen«, seufzte Paddy.
Elza legte Henriete den Mantel um, sodass ihre Armwunde verdeckt war, und führte sie sanft, aber bestimmt zum Wagen. Paddy überlegte, was sie mit der Waffe tun sollten. Die Mordwaffe vom Tatort zu entfernen war strafbar. Aber Henrietes Fingerabdrücke waren darauf.
Schließlich nahm er ein Taschentuch, um selbst keine Abdrücke zu hinterlassen, und hob die Waffe auf.
Auf der Straße waren keine neugierigen Nachbarn zu sehen – offenbar hatte doch niemand die Schüsse gehört.
Elza und Henriete setzten sich auf die Rückbank. Henriete lehnte sich kraftlos an Elza.
Lia nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Paddy beugte sich zu ihr herüber und legte etwas ins Handschuhfach. Henrietes Waffe.
»Wollt ihr wissen, was sie gesagt hat?«, fragte Elza.
Lia und Paddy wussten sofort, was sie meinte. Die Worte, die Henriete Vanags ins Gesicht geschleudert hatte, bevor sie ihn erschoss.
»Sie hat gesagt: ›Du Bestie‹. Sie hat gesagt: ›Jetzt fährst du Bestie zur Hölle. Und wenn ich dir dorthin folge, töte ich dich wieder. Ich töte dich immer wieder. Ich töte dich tausend Mal.‹«
Im Wagen wurde es still.
Sie wollten gerade losfahren, als Paddy noch einmal anhielt und sagte: »Es kann lange dauern, bis Vanags’ Leiche gefunden wird. Wenn die Nachbarn die Schüsse nicht gehört haben, hat die Polizei keinen Grund, sich das Haus
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