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Die Frau ohne Gesicht

Die Frau ohne Gesicht

Titel: Die Frau ohne Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pekka Hiltunen
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Lia die verschiedenen Treffpunkte der Osteuropäer vorgestellt hatte.
    Leider hatte Maggie nichts über die Getränkepreise gesagt. Das Glas Wasser, das Lia bestellte, kostete elf Pfund. Nichtsdestotrotz wanderten über die Bartheke Champagnerflaschen und spektakuläre Cocktails. Offenbar waren die Gäste gut betucht und bereit, für ihr Vergnügen zu zahlen.
    Lia sah sich um und versuchte zu erkennen, ob Prostituierte im Club waren. Zwei Frauen schätzte sie wegen der Art, wie sie eine Gruppe von Männern ansprachen, als Freudenmädchen ein, doch es gelang ihr nicht, einen Gesamteindruck zu gewinnen.
    In den letzten Tagen hatte sie im Internet einiges über osteuropäische Prostituierte recherchiert. Man vermutete, dass besonders viele in Großbritannien und Deutschland tätig waren, und dass allein aus Lettland jährlich mehrere hundert Frauen als Sexarbeiterinnen in andere europäische Länder reisten. Genaue Ziffern lagen jedoch nicht vor.
    Die Ausmaße der Ost-Prostitution wurden in der Öffentlichkeit teilweise auch übertrieben dargestellt. In Großbritannien hatte man sich jahrelang über den Menschenhandel erregt, der angeblich Tausende von Frauen und Mädchen in die Prostitution führte. Untersuchungen zeigten aber, dass die Zahl der Opfer bei den bekannt gewordenen Fällen weitaus niedriger war. Und vor Gericht waren nur ganz wenige Fälle verhandelt worden. Wie hoch die Dunkelziffer lag, wusste allerdings niemand. Unbestreitbar war, dass der Menschenhandel ein ernsthaftes Problem war und viele Prostituierte unter ihrem Schicksal litten.
    Lia hatte auch zwei Berichte über lettische Prostituierte gefunden. Prostitution schien in dem kleinen Land überraschend stark verbreitet zu sein, zudem war das Gewerbe in Lettland nicht verboten und einigen Wissenschaftlern zufolge auch nicht so stark mit Scham behaftet wie in anderen Ländern. Riga wurde sogar als das Bangkok des Baltikums bezeichnet. Diese abschätzige Bezeichnung war nicht völlig aus der Luft gegriffen. Infolge der schlechten wirtschaftlichen Lage ihrer Heimat schienen einige Frauen die Prostitution als Weg zu einem besseren Leben zu betrachten.
    Vielleicht leben ich und viele andere finnische Frauen in einer Emanzipations-Seifenblase? Wir können es uns einfach nur leisten, Prostitution zu verurteilen. Uns schützt unser Wohlstand. So ist es natürlich einfach, der Illusion zu glauben, wir besäßen eine Moral, die den Prostituierten abginge.
    Während sie durch den Club streifte, gewann Lia mehr und mehr den Eindruck, dass es oberflächlich war, die Frauen, die hier um die Gunst reicher Männer buhlten, so einfach zu verurteilen.
    Hier geht es um mehr als Geld. Hier geht es um Träume und die Hoffnung auf ihre Verwirklichung.
    Nach einer Weile wurde ihr das Beobachten zu langweilig. Sie ging an die Bar und zwinkerte den Barkeeper an.
    »Ich brauche ein bisschen Spaß«, sagte sie.
    Der Mann mit der Fliege lächelte. Kurz darauf reichte er ihr ein gewaltiges Glas. In dem Drink schwammen drei Frauengestalten aus Plastik, in deren Leibern Lämpchen flackerten. Lovelight, neunundzwanzig Pfund.
    Lia zahlte mit Kreditkarte und probierte den Cocktail. Er war ziemlich hochprozentig, und die Wirkung setzte rasch ein. Die Songs von Robbie Williams, die aus den Lautsprechern schallten, klangen immer lustiger, und Lia merkte, dass die Blicke der Männer nun auch sie streiften.
    Einige Minuten später stellte sich ein Mann neben sie und sagte: »Du siehst aus, als ob du gerne feierst.«
    Aljoscha war Russe und hatte einen starken Akzent.
    »Du kannst mich Al nennen«, sagte er.
    » You can call me Al , wie in dem Song von Paul Simon«, lachte Lia.
    »Was? Von wem?«
    »Vergiss es. Wo in Russland bist du zu Hause? Ich komme aus der Nachbarschaft, aus Finnland.«
    Bis halb zwölf hatte Lia vier Visitenkarten bekommen, sich drei Mal zu einem Drink einladen lassen und viel gelacht.
    Aljoscha hatte sich als Geschäftsmann und lebenslustiger Charmeur entpuppt, der ihr unbedingt seine Tanzschritte zeigen wollte. Durch ihn hatte Lia zwei russische Gruppen und einen Esten kennengelernt, doch niemand kannte Letten oder wusste, wo Lia sich nach Frauen aus Lettland erkundigen könnte. Ihre Geschichte hatte funktioniert – die Suche nach der Schwester wurde als persönliche und ernste Angelegenheit empfunden und ohne Rückfragen akzeptiert.
    Lia beschloss, den Barkeeper noch einmal anzusprechen.
    »Ich suche eine Lettin, die hier in der Nähe gewohnt hat. Sind hier oft

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