Die Frau ohne Gesicht
lebt wie bei uns.«
Die Zuhörer, denen nicht recht klar war, was das bedeuten sollte, applaudierten nur zögernd.
»Für all das brauchen wir euch und jeden Briten, den ihr für unsere Arbeit zur Schaffung einer neuen Großen Welt gewinnen könnt. Der Einsatz jedes Einzelnen ist wichtig«, schloss Fried und deutete zum Rand des Podiums.
Dort erschien seine Frau, die vom Publikum lautstark begrüßt wurde.
Anna Belle Fried trat zu ihrem Mann und reichte ihm die Hand. Fried legte das Mikrofon weg und sprach liebevoll mit ihr. Sie beherrschten die Choreografie perfekt: Lia hatte diese Zeremonie bereits auf Videos von verschiedenen Veranstaltungen der Fair Rule gesehen.
Anna Belle Fried war kurvenreich und stark geschminkt. Mit den blonden Locken, dem geschlitzten Rock und den hohen Absätzen wirkte sie puppenhaft.
Sie wäre auch ohne Make-up schön , dachte Lia.
Arthur Fried wandte sich wieder dem Publikum zu, trat an den vorderen Rand der Rednerbühne und zog seine Frau mit sich. Er grinste und zwinkerte den Menschen zu. Im Licht der starken Scheinwerfer wirkten die beiden irreal, als bewegten sie sich in Zeitlupe.
Einige der schwarz gekleideten jungen Männer in der ersten Reihe pfiffen und johlten: Fuck that bitch! Lia sah, wie Anna Belle Fried erstarrte, auf irgendeinen fernen Punkt blickte und die Rufe zu ignorieren versuchte.
Arthur Fried hob die rechte Hand, zur Faust geballt, über den Kopf, während er mit der linken seine Frau weiter nach vorn zog. Er lächelte den Schwarzjacken in den ersten Reihen zu, die daraufhin noch lauter schrien.
Lia starrte auf Arthur Frieds Hand. Er hielt den Arm seiner Frau fest umklammert.
Anna Belle machte einen Schritt zur Seite, als wolle sie das Podest verlassen. Arthur Fried blickte seine Frau nicht an, doch Lia sah, dass sie unter seinem Griff zusammenzuckte. Ihr Widerstand erlosch sofort.
Fried mag das. Es gefällt ihm, dass sie seine Frau als Nutte bezeichnen.
Die Lautsprecher hoben Frieds Stimme über den Lärm des Publikums.
»Wir kommen ins Parlament. Und du, du und du, alle, die ihr hier seid, ihr kommt mit!«
21.
Lia hatte Mühe, die Eingangstür zum Studio zu öffnen: Sie hatte zwei große Taschen voller Papiere und Zeitungsausschnitte dabei, und ihre linke Schulter war noch empfindlich. Die Unterlagen betrafen Arthur Fried und Lias zweiten Fall, der sich als gefährlich entpuppt hatte, den Mord an der Lettin.
Sie ging in eines der freien Arbeitszimmer und legte ihre Sachen auf den Tisch. Dann überlegte sie, ob sie sich bei Mari anmelden sollte, doch da fiel ihr ein, dass der orangefarbene Kreis auf dem Fußboden den Überwachungscomputer bereits über ihre Anwesenheit informiert hatte.
Tatsächlich kam Mari bald herein, um sie zu begrüßen.
»Schön, dass du dich hier einquartiert hast.«
»Finde ich auch. Seltsam und schön. Immer weniger seltsam und immer schöner«, sagte Lia.
Sie berichtete von der hitzigen Parteiveranstaltung am vorigen Abend.
»Fried ist vor Publikum noch geschickter, als ich erwartet hatte. Die Zeitungsartikel, Videos und Fernsehauftritte zeigen nicht, wie er in Natur wirkt. Er schafft es, die Hoffnungen ganz verschiedener Menschen zu bündeln und den Eindruck zu erwecken, er verfechte sie alle«, fügte sie hinzu.
Sie beschrieb die militant wirkenden jungen Männer in den ersten Reihen. Als sie Arthur Fried auf das Podium riefen, hätte man sie für Neonazis halten können, die ihren Helden erwarteten.
Mari erkundigte sich nach dem Große-Welt-Programm der Fair Rule, doch darüber hatte Lia keine genaueren Informationen. Das Projekt war als kleine Meldung in den Tageszeitungen gelandet, denn in der Eishalle hatten auch einige Reporter gesessen.
»Es ist schon merkwürdig. Diese Meldungen klingen, als wäre Frieds Trupp wirklich fähig, politische Programme zu formulieren«, meinte Lia kopfschüttelnd.
»Na, wenn das Programm veröffentlicht wird, greifen die Kommentatoren zumindest die blödsinnigsten Fehler heraus«, erwiderte Mari. »Aber gleichzeitig bekommt die Fair Rule Publicity. Sie braucht keine intelligenten Programme, um Anhänger zu gewinnen.«
Beiden war klar, dass es der Partei genügte, das Misstrauen, den Hass oder die Enttäuschung einiger Mitglieder zu kanalisieren.
»Ich bin übrigens nicht zu dumm, um zu begreifen, warum du mich dahin geschickt hast. Du wolltest, dass ich Arthur Fried sehe, damit auch ich ihn ablehne«, wechselte Lia das Thema.
»Und, tust du es?«
Lia bejahte. Während der
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