Die Frau ohne Gesicht
Vorlagen für die Werbeblätter und zeigte ihr, wo sie die Bilder und Texte fand.
Schon seltsam, was man so alles macht , dachte Lia, während sie an der Gestaltung der Slogans für die Veranstaltungen der Partei in Glasgow, Manchester und Edinburgh arbeitete.
Zwischendurch fragte Stephen beiläufig, was Lias Interesse für die Fair Rule geweckt habe. Lia erzählte kurz von ihrem fiktiven Freund, der eine Parteiveranstaltung besucht und danach auch sie überzeugt habe. Die Erklärung ging glatt durch.
Um halb zehn betrat Arthur Fried das Büro. Seine Ankunft blieb nicht unbemerkt; viele Mitarbeiter eilten zu ihm und bestürmten ihn mit Fragen.
»Arthur, möchtest du, dass wir Leute nach Manchester schicken? Wenn ein größerer Trupp hinfahren soll, müssen wir rechtzeitig Busse bestellen.«
»Arthur, in deinem Blog hat sich seit mehr als einem Monat nichts getan. Es hat schon Beschwerden gegeben. Was sollen wir schreiben?«
Haben die Leute keine operative Führung? Müssen sie wegen jeder Kleinigkeit zu Fried rennen?
Die operative Führung trat schließlich hinter Fried zur Tür herein. Lia stellte bald fest, dass der Parteisekretär Tom Gallagher auf jede Frage eine Antwort parat hatte. Dennoch wollten die Leute mit Arthur Fried in Berührung kommen.
Fried lächelte und gab kurze Antworten. Er klopfte der müde aussehenden Dorrie auf den Rücken, der man das Putzen, Kaffeekochen und einfache Büroarbeiten aufgeladen hatte. Die Putzarbeit war nach Lias Meinung pure Quälerei, denn die anderen machten gleich wieder alles schmutzig. Fried lobte Stephen und Simon für die Pressemitteilung über das Große-Welt-Programm, die sie für die ausländischen Medien ausgearbeitet hatten.
Dann entdeckte er Lia.
»Ein neues Gesicht? Arthur Fried, es freut mich, dass Sie dabei sind«, stellte er sich vor, schüttelte ihr die Hand und sah ihr in die Augen.
»Mich auch«, erwiderte Lia, während sie ihn genau betrachtete.
In der nächsten Sekunde hatte Fried das Interesse an ihr verloren und ging weiter.
Er arbeitet wie am Fließband. Täuscht geschickt menschliche Wärme vor. Was alles hätte Mari ihm wohl angesehen?
Fried zog sich mit dem Parteisekretär in das Hinterzimmer zurück. Sie ließen die Tür offen, aber wie Stephen gesagt hatte, nutzte nun niemand mehr die Gelegenheit, mit dem Parteiführer zu sprechen.
Lia ging während der Arbeit ein paar Mal an dem Raum vorbei und warf einen Blick hinein. Gallagher saß am Schreibtisch und schrieb auf dem Computer, während Fried in einem alten Sessel Platz genommen hatte und kurze Anweisungen gab. Sekretär und Chef, dachte Lia. Der Parteisekretär hielt sich im Hintergrund, damit der Glanz allein auf Arthur Fried fiel.
Wahrscheinlich stammen viele von Frieds Sätzen aus Gallaghers Kopf. Ein interessanter Hintermann.
Als der Abend zu Ende ging, merkte Lia, dass sie mit ihrer eigentlichen Aufgabe nicht weit gekommen war. Sie hatte brav am Layout gearbeitet, aber abgesehen von der oberflächlichen Bekanntschaft mit den Menschen im Büro wusste sie nicht viel mehr über die Partei als zuvor.
Am Sonntagmorgen rief sie Mari an.
»Ich weiß nicht, ob das was bringt. Die Denk- und Führungsarbeit scheint außerhalb des Parteibüros abzulaufen.«
»Wenn du aufhören willst, dann hör auf. Wir könnten heute Abend ausgehen«, schlug Mari vor.
Es wäre bequem gewesen, ihren Vorschlag jetzt anzunehmen, ein bisschen Auszeit konnte sie ohnehin gebrauchen, aber plötzlich war da etwas, das Lia zurückhielt. »Nein. Ich will es trotzdem weiter versuchen. Vielleicht ist da ja doch was …«
Mari lachte. »Du hast dich zum Spürhund entwickelt.«
Sie wusste, was Lia empfand: das Gefühl, nicht aufgeben zu dürfen.
Lia fand sich schon am Vormittag im Büro ein. Arbeit schien es genug zu geben. Am Sonntag waren weniger Leute im Büro, und es ging ruhiger zu. So blieb Lia Zeit, mit dem Kaffeebecher in der Hand herumzuspazieren und den Gesprächen zu lauschen.
Dorrie freute sich, dass sich endlich einmal jemand mit ihr unterhalten und nicht nur Kaffee oder Klopapier haben wollte.
Sie erzählte, ihr Mann habe zu den Gründungsmitgliedern der Partei gehört. Vor vier Jahren war er gestorben. Dorrie war über sechzig, eine kinderlose Witwe mit geringem Einkommen und schaffte es einfach nicht, dem Büro fernzubleiben. Sie half dort schon seit mehr als zehn Jahren aus.
»Aus der Politik mache ich mir nicht viel«, erklärte sie. »Aber nach Lees Tod war ich zwei Monate nicht hier,
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