Die Frau ohne Gesicht
publik machen?«
»Auf der Pressekonferenz von Fair Rule in vier Tagen.«
O’Rourke brach in Gelächter aus, und Lia wusste, dass sie den Richtigen gewählt hatte.
Die mit Mari vereinbarte Strategie war O’Rourke recht. The Star durfte die Nachricht auf ihrer Webseite publizieren, sobald O’Rourke bei der Pressekonferenz seine Frage an Fried gestellt hatte. Die Zeitung erhielte das Monopol auf die Hintergrundinformationen – die anderen Medien müssten sie zitieren, weil sie nicht so schnell an eigene Informationen herankämen.
»Warum dieser präzise Zeitplan?«, fragte O’Rourke.
Lia erklärte, das habe sie ihrem Informanten versprechen müssen. Sie beschrieb in allen Einzelheiten, wie O’Rourke den Beweis für Frieds Konkursbetrug in den Registern von Lincolnshire finden konnte. Er notierte sich alle Angaben und war beeindruckt, weil Lia ihm alle Details bis hin zu den Aktenzeichen der Registerdokumente aus dem Kopf aufzählte.
»Bist du sicher, dass du im richtigen Job arbeitest? Du klingst wie eine hervorragende investigative Journalistin.«
»Wer weiß, vielleicht brauche ich irgendwann eine neue Stelle«, erwiderte Lia augenzwinkernd.
»Jetzt geht es los«, sagte Mari zufrieden, als Lia ihr im Studio von dem Treffen berichtete. »Die nächsten Wochen werden ereignisreich.«
Zu Lias Erleichterung nahm der Fall Fried Maris ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Ihre Freundin sollte nicht merken, dass sie eigene Pläne hatte. Kurze Zeit später verließ Lia das Studio – in der Tasche verborgen der Kamm und der Spiegel aus dem Eastern Buffet sowie die Kopie eines Artikels über den Mord in der Holborn Street.
Als Lia in Camberwell eintraf, glänzte die Vassall Street im Licht der Laternen von dem eiskalten Regenschauer, der zum Glück gerade aufgehört hatte.
Sie wollte versuchen, mit einer der Prostituierten zu sprechen. Sie mussten etwas wissen. Es war Lia klar, dass sie auch aus egoistischen Gründen hier war. Arthur Fried war Maris Sache. Lia wollte ihr durchaus helfen, denn ein Mann wie Fried gehörte nicht ins britische Parlament, sondern ins Gefängnis.
Aber das hier war ihr eigener Fall!
Und so stand sie an diesem kühlen Abend in der Vassall Street, weil sie sich etwas beweisen wollte. Die Mitarbeiter des Studios waren stark, beinahe, als seien sie größer als Lia. Es wurde Zeit, dass Lia wuchs.
Die Furcht hatte ihr bisheriges Leben gesteuert. Doch bei der Arbeit für das Studio war sie in gefährliche Situationen geraten und hatte sie überstanden. Sie war fest entschlossen, der Furcht nie mehr die Zügel zu überlassen.
Lia musste sich bewegen, um warm zu bleiben. Sie behielt die Wagen und die anderen Passanten im Auge. Paddys Rat, man müsse unablässig auf seine Umgebung achten, hatte Wurzeln geschlagen.
Kazis Vanags’ Wagen war nicht zu sehen. Wenn Vanags seine abendliche Runde immer zur gleichen Zeit drehte, war er gerade auf dem Weg zum Assets.
Lia hatte schräg gegenüber dem Haus Stellung bezogen. Sie schätzte, dass sie von der Wohnung aus kaum zu sehen war, weil am Straßenrand zwei Lieferwagen standen.
Die Minuten verstrichen und sie sah zwei Männer das Haus betreten und einen herauskommen. Alle waren allein.
Hausbewohner oder Freier?
Die Kälte kroch ihr in die Glieder. Es ließen sich keine weiteren Männer blicken, alles war ruhig.
Um zwanzig nach acht verließ eine Frau das Haus. In derselben Sekunde vergaß Lia ihre Unruhe und die Abendkälte. Diese Frau hatte sie gesehen, als sie mit Paddy im Wagen gesessen hatte.
Die Frau schritt zielstrebig voran. Mit ihrem adretten Aussehen hätte Lia sie nicht für eine Prostituierte gehalten.
Natürlich können Prostituierte ganz normal aussehen. Sollen sie etwa ein Schild mit der Aufschrift »Nutte« tragen? , schalt sie sich innerlich.
Die Frau ging zum Laden an der Ecke. Lia eilte ihr nach. Als sie die Seitenstraße überquert hatten und vom Haus aus nicht mehr gesehen werden konnten, schloss Lia zu der Frau auf.
»Entschuldigung«, sagte sie.
Die Frau warf ihr einen Blick zu, ging aber weiter.
»Entschuldigung, Miss«, wiederholte Lia und berührte die Frau am Arm.
Ohne sie anzusehen, stieß die Frau Lia von sich, panisch rannte sie zurück in Richtung des Hauses. Lia zögerte keine Sekunde und hetzte hinterher, und schon bald hatte sie sie eingeholt.
»Ich bin nicht von der Polizei. Ich bin nicht von der Polizei!«, rief Lia hastig. »Haben Sie den schon einmal gesehen?«
Sie hielt der Frau japsend den
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