Die Frau und der Sozialismus: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
ihrer Erziehung angemessenen Beruf zu bahnen, bei den meisten auch zwecks Erwerbung der nötigen Mittel zum Lebensunterhalt, nicht allein in der Oberlehrerinnenlaufbahn, sondern auch in anderen, auf Universitätsstudien begründeten Lebensstellungen, soweit sie für Frauen in Betracht kommen." Man könnte fast glauben, daß man einen Auszug aus meinem Buche lese!
Wie dem auch sei, das Frauenstudium ist nicht mehr rückgängig zu machen. Weibliche Ärzte sind bereits in allen Kulturländern der Erde und sogar in Ländern, die noch nicht als Kulturstaaten gelten, in mehr oder weniger großer Zahl beschäftigt. Der verstorbene Li-Hung-Chang hatte eine chinesische Ärztin, die im Frauenhospital ihrer Vaterstadt Futschang praktizierte, zu seinem Hausarzt ernannt. Die verstorbene Frau v. Kowalewska, die berühmte Mathematikerin, war von 1889 an bis zu ihrem Tode im Jahre 1891 Professor der Mathematik in Stockholm. Weibliche Professoren gibt es in den Vereinigten Staaten eine große Anzahl, vereinzelt auch in Italien, in der Schweiz, in England, Frankreich, wo die berühmte Physikerin Marie Curie, die mit ihrem Manne die radioaktiven Elemente Radium und Polonium entdeckte, jetzt nach dem Tode ihres Mannes (1906) seine Nachfolgerin an der Universität wurde. Wir sehen Frauen als Ärzte, Zahnärzte, Juristen, Richter, Chemiker, Physiker, Geologen, Botaniker; höhere Lehrerinnen usw. im öffentlichen oder in Privatstellungen tätig, und es ist einzig Sache der Frauen, selbst durch ihre Tätigkeit zu beweisen, daß sie die ihnen anvertrauten Posten ebenso gut und gewissenhaft wie die Männer auszufüllen vermögen. Im Sommer 1899 hat sogar die Mehrheit der Wähler im Kanton Zürich bei der Volksabstimmung sich dafür ausgesprochen, Frauen zur Ausübung der Advokatur zuzulassen. Der betreffende Beschluß wurde mit 21.717 gegen 20.046 Stimmen gefaßt. In Amerika sind die Frauen in 34 Staaten als Advokatinnen zugelassen. Außerdem in Frankreich, Holland, Schweden, Dänemark, Finnland, Rußland, Kanada und Australien.
Was viele Männer, namentlich auch in gelehrten Kreisen, gegen das Studium der Frauen einnimmt, ist, daß sie dadurch eine Herabwürdigung der Wissenschaft befürchten, deren Ansehen im allgemeinen leiden müsse, wenn sogar auch Frauen wissenschaftliche Studien betreiben könnten. Sie sehen im wissenschaftlichen Studium eine besondere Bevorzugung, das nur für Auserwählte des männlichen Geschlechts zugängig sein solle.
Leider befindet sich unser Universitätswesen, wie das gesamte Bildungswesen noch in einer mangelhaften Verfassung. Wie in der Volksschule dem Kinde die kostbarste Zeit geraubt wird, um sein Hirn mit Dingen anzufüllen, die weder mit der Vernunft noch wissenschaftlicher Erkenntnis im Einklang stehen; wie ihm eine Masse Ballast aufgebürdet wird, den es im Leben nicht verwenden kann, der es vielmehr in seinem Fortkommen und seiner Entwicklung hemmt, so auch in unseren höheren Schulen. In den Vorbereitungsanstalten zu den Universitäten wird den Schülern eine Masse trockenen unbrauchbaren Lehr- und Memorierstoffs eingepaukt, der ihre meiste Zeit, ihre kostbarsten Gehirnkräfte in Anspruch nimmt, und auf der Universität wird meist in derselben Richtung fortgewirkt. Eine Masse von Althergebrachtem, Überlebtem und Überflüssigem wird ihnen neben Nützlichem und Gutem gelehrt. Die einmal geschriebenen Kollegienhefte werden von den meisten Professoren Semester für Semester bis auf die eingestreuten Witze heruntergeleiert. Das hohe Lehramt wird bei vielen zum gewöhnlichen Handwerk, und für die Lernenden bedarf es keines Scharfsinns, das herauszufühlen. Auch sorgen die überkommenen Begriffe vom Universitätsleben dafür, daß die jungen Leute die Studienjahre nicht zu ernst nehmen, und mancher, der sie ernst nehmen will, wird durch die pedantische und ungenießbare Lehrweise vieler Professoren abgeschreckt. Die Abnahme des Lern- und Studiereifers ist eine auf unseren Universitäten und höheren Schulen allgemein beobachtete Tatsache, die selbst in maßgebenden Kreisen Bedenken erweckt. Damit steht in engster Beziehung das Streber- und Gönnertum, das in unserer charakterarmen Zeit die größten Fortschritte macht und die Hochschulen immer mehr überwuchert. Gute Familienbeziehungen, "gute Gesinnung" treten an Stelle des Wissens und Könnens und machen sich breit; ein Patriot zu sein, das heißt ein Mann, der keine eigene Meinung hat, sondern sich sorgsam nach oben richtet, sieht,
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