Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)
gesetzt worden war, loderte wie ein gewaltiges Strohfeuer zum Himmel empor. Die Matrosen, die die spanische Brigg versenken sollten, hatten dabei eine große Ladung Rum an Bord entdeckt, und da diese Flüssigkeit auf der ›Othello‹ in großen Mengen vorhanden war, so fanden sie es spaßhaft, mitten im Meere eine große Punschbowle anzuzünden. Für Leute, denen die Monotonie des Meeres so wenig Gelegenheit zur Abwechslung bietet, war dies eine verzeihliche Belustigung. Der General, der von der Brigg in die mit sechs starken Matrosen bemannte Schaluppe der ›Sankt Ferdinand‹ gestiegen war, teilte unfreiwillig seine Aufmerksamkeit zwischen dem brennenden Schiffe und seiner Tochter, die, an den Korsaren gelehnt, auf dem Heck des Schiffes stand. Als er unter dem Ansturm so vieler Erinnerungen Hélène in ihrem weißen Kleid sah, das sich wie ein Segel mehr im Wind bauschte, als er über den Ozean hin ihre hohe, schöne Gestalt wahrnahm, so gebieterisch, als sei alles, selbst das Meer, ihr Untertan, da hatte er, mit der Unbekümmertheit des Soldaten, schon vergessen, daß er über das Grab des wackeren Gomez dahinfuhr. Über ihm ballte sich wie braunes Gewölk eine ungeheure Rauchsäule, in die die Sonne, welche sie hier und da durchdrang, märchenhaft leuchtende Strahlenbündel warf. Es war ein zweiter Himmel, eine dunkle Kuppel, unter welcher es wie von Kronleuchtern glänzte und über der sich das unwandelbare Blau des Firmaments wölbte, das durch diesen flüchtigen Kontrast tausendmal schöner erschien. Die eigenartigen Färbungen dieser Rauchglocke, die bald gelb, gold, bald rot oder schwarz im Dunst miteinander verschmolzen, hüllten das Schiff ein, das knisterte, krachte, ächzte. Die Flamme zischte, als sie das Takelwerk erfaßte, und lief über das ganze Schiff, wie ein Volksaufstand durch die Straßen einer Stadt rast. Der Rum ließ blaue Flammen hin und her hüpfen, als hätte der Meergott selbst dieses Teufelsgetränk durcheinandergeschüttet, so wie die Hand eines Studenten während eines Saufgelages den fröhlichen ›Abbrand‹ eines Punsches rührt. Doch die Leuchtkraft der Sonne war mächtiger, eifersüchtig auf jenes freche Leuchten ließ sie die Farben der Feuersbrunst in ihren Strahlen kaum ausmachen. Es war, als flattere ein Netz, eine Schärpe in ihrem Flammenstrom. Um zu entkommen, hielt sich die ›Othello‹ bei schwachem Wind in ihrer neuen Richtung und neigte sich bald nach der einen, bald nach der andern Seite, wie ein in den Lüften schaukelnder Papierdrache. Die schöne Brigg nahm Kurs nach Süden. Bald entzog sie sich den Augen des Generals und verschwand hinter der steilen Rauchsäule, deren Schatten auf dem Wasser geisterte, bald zeigte sie sich wieder, hob sich fliehend voller Anmut aus den Wogen. Sooft Hélène ihren Vater sehen konnte, ließ sie ihr Taschentuch wehen, um ihn noch einmal zu grüßen. Bald darauf sank die ›Sankt Ferdinand‹; das aufschäumende Wasser glättete der Ozean, und von dem ganzen Schauspiel blieb nichts übrig als eine vom leichten Winde geschaukelte Wolke.
Die ›Othello‹ war weit; die Schaluppe näherte sich der Küste. Die Wolke schob sich zwischen das kleine zerbrechliche Boot und die Brigg. Zum letzten Male sah der General seine Tochter durch einen Riß in dem wogenden Rauch. Prophetische Vision! Nur das weiße Tuch und das Kleid hoben sich aus dem rußigschwarzen Dunst. Zwischen dem grünen Wasser und dem blauen Himmel verlor sich die Brigg. Hélène war nur noch ein unmerklicher Punkt, eine liebliche, sich auflösende Linie, ein Engel im Himmel, ein Gedanke, eine Erinnerung.
Nachdem der Marquis so wieder zu Vermögen gekommen war, starb er rasch an Entkräftung dahin. Einige Monate nach seinem Tod, im Jahre 1833, war die Marquise genötigt, Moina in die Bäder der Pyrenäen zu begleiten. Das eigenwillige Kind verlangte, die Schönheiten der Berge kennenzulernen. Als sie nun nach Eaux, ihrem Badeort, zurückkehrten, trug sich folgende schreckliche Szene zu: »Mein Gott, Mutter«, sagte Moina, »wir haben sehr schlecht daran getan, daß wir nicht ein paar Tage länger in den Bergen geblieben sind! Wir waren dort weit besser aufgehoben als hier. Hast du nicht das unaufhörliche Stöhnen dieses entsetzlichen Kindes und das Geschwätz der unglücklichen Frau gehört, die anscheinend Dialekt redet, denn ich habe kein einziges Wort, das sie sagte, verstanden. Was sind das nur für Leute, die wir zu Nachbarn haben! Diese Nacht war eine der
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