Die Frauen von Bramble House
Sorgen.« Sie lächelte ihn schwach an. »Sie ist nämlich nicht richtig glücklich.«
»Aber hast du denn so was erwartet? In ihrem Alter zum Heiraten gezwungen. Und wie du mir gesagt hast, wollte sie das gar nicht. Wenn du mich fragst, es wäre besser gewesen, wenn sie das Kind einfach so, ohne Heirat hätte bekommen können.«
»Ach, Henry, du weißt doch, was die Leute über solche Kinder sagen … und über ihre Mütter! Manchmal glaube ich, wir leben noch immer im letzten Jahrhundert unter Queen Victoria! Angeblich sind wir so aufgeklärt und modern, aber eine Mutter mit einem unehelichen Kind wird noch immer gebrandmarkt und als Schande angesehen! Ach, Liebster, es wird schon dunkel. Ich muß fahren, und ich muß mir ein Sperrfeuer von Antworten ausdenken gegen den Beschuß von Fragen, wenn ich zu Hause ankomme. Was ist denn das für eine Freundin, die ich in letzter Zeit immer besuche? Und wieso ist sie bettlägerig? Wenn es ihr derart schlecht geht, warum liegt sie dann nicht im Krankenhaus? Das fragt meine Großmutter. Also, wieso liegst du dann nicht im Krankenhaus?«
Wenig später sollte Lizzie daran denken, wieviel prophetische Vorahnung doch oft in trivialen Bemerkungen lag, die man einfach so von sich gab.
Sie umarmten und küßten sich wieder und wieder, ehe sie sich trennen konnten, und auf der Heimfahrt geriet Lizzie immer tiefer in die wachsende Dämmerung.
Das Haus sah verwandelt aus. Das war immer so, wenn er nicht da war. Keine fünf Minuten, nachdem sie ihr Zimmer betreten hatte, ertönte prompt die Stimme vor der Tür: »Lizzie? Bist du da?«
»Ja, komm rein, Großmutter.«
»Du bist also zurück.«
»Wenn ich’s nicht bin, dann ist es mein Geist, was du da siehst.«
»Sei nicht spaßig, Kind! Wie geht es dieser Freundin von dir?«
»Oh … einigermaßen.«
»Ist sie immer noch bettlägerig?«
»Ja, noch immer.«
»Seltsam, wie du da auf einmal eine alte verschollene Freundin wiederentdeckst, die du seit Jahren nicht mehr gesehen hast, und die ist auch noch ans Bett gefesselt. Und seltsam auch, daß ich von dir früher nie ein Wort über sie gehört habe.«
»Es gibt eine Menge Dinge, von denen du noch nichts gehört hast.«
»Ja, Lizzie, es gibt vieles, wovon ich nie was gehört habe. Und anscheinend auch vieles, wovon ich auch jetzt nichts erfahren, nicht wahr? Hast du eine heimliche Affäre?«
»Großmutter! «
»Nun ja.« Die alte Dame wandte sich zur Tür. »Ich rieche, daß da was faul ist.«
»Das tust du die ganze Zeit.« Und diese Bemerkung brachte Mrs. Funnell so auf, daß sie scharf erwiderte: »Nun, ich würde es dir nicht verübeln, wenn es so wäre. Nein, in diesem Fall würde ich dir das wirklich nicht übelnehmen. Im Gegenteil, du hättest meinen Segen!«
»Oh, vielen Dank, Großmutter. Ich werde dran denken, und morgen ziehe ich los und suche mir was.« Lizzie lachte heftig. Aber dann fragte die alte Dame: »Wo ist er hin? Hast du eine Ahnung?« Und Lizzie antwortete: »Darüber weißt du genau so viel oder nichts wie ich. Und um ganz offen zu sein, es interessiert mich auch nicht die Spur.«
»Mich schon! Weil der nämlich höchstwahrscheinlich auch so einer ist, der heimliche Geschichten hat. Und wenn ich in Betracht ziehe, daß du dein Lager drüben aufgeschlagen hast, denke ich, man würde ihm das nicht verübeln können. Aber weil er nun mal der ist, der er ist, gebe ich ihm die Schuld an allem.«
Ja. Ja, so war es, und darin lag von Anfang an eine der Hauptursachen aller Spannungen. Sie hatte ihm immer an allem die Schuld gegeben. Nutzlos, da zu argumentieren, daß er das provoziert hatte. Sie mochte ihn einfach nicht, und damit basta! Also war eben er an allem schuld. Sie war eben von dieser Art: Sie tat, was ihr paßte. Aber wieviel Ärger und Elend werden in dieser Welt verursacht von Leuten, die immer nur tun, was ihnen paßt.
Sie betrachtete die alte Frau an der Tür mit scharfem unerbittlichen Blick. Hatte sie sie jemals gemocht? Doch, gemocht wohl schon, aber geliebt hatte sie sie nie. Und seltsam, so sehr ihre Mutter eine Plage war, Lizzie liebte sie, weil sie verstanden hatte, daß die ständig auftretenden Beschwerden nur ein Schutzschild waren gegen die erbarmungslosen Waffen dieser alten Dame, die da jetzt kerzengerade und steif wie eine Ladestock aus der Tür schritt …
Der Sonntagmorgen zog sich dahin. Der Nachmittag auch. Lizzie wäre nur allzu gern zu Henry gefahren, um sich in seine schützende Umarmung zu stürzen; doch der
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