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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Aufenthaltsort er auch ist, steckt voller Götter und Göttinnen, die sich langweilen und eifersüchtig und neidisch das Schicksal der Menschen beobachten. Der Tod, mit dem die Götter die Menschen gesegnet und geschlagen haben, ist auch ein großes Geschenk: Er gibt dem Leben Spannung.« Sie hob die Hand und sagte streng: »Dein Vater wusste das. Aber du, Junge, sprich niemals, nicht einmal im Traum, zu irgendjemandem von diesem Geheimnis!«
    Ihre Augen sprühten grüne Funken. In diesem Augenblick war meine göttliche Gastgeberin wirklich furchterregend. Ich sah sie stumm an und fühlte mich, als würde ich bedroht. Aber zugleich auch, als wäre ich in einen besonderen Rang erhoben worden. Zum ersten Mal spürte ich, dass es eine Auszeichnung ist, Mensch zu sein.
    XI
    »Dein Vater wusste das«, wiederholte Kalypso. Jetzt sprach sie schnell und abgehackt. »Er hat alles beobachtet, sieben Jahre lang. Wie er auch zuvor bei den Menschen und den Göttern beobachtet hatte. Hier saß er, an meinem Rockzipfel, und hatte es nicht eilig, von mir wegzukommen. Ich leugne nicht, dass er der Herrscher meines Herzens war. Nach und nach gab ich ihm alles: meine Gefühle, mein göttliches und mein weibliches Wesen, dann meine Erinnerungen. Aber selbst dies war zu wenig. Seinen drängenden Fragen konnte ich mich letztlich nicht verweigern. Unser Verhältnis wuchs langsam über die Grenzen menschlicher Beziehungen hinaus. Wenn er in meinen Armen lag, war er manchmal wie ein Kind, das in der Wiege der Zeit und der Welt ruht, am Anfang aller Dinge. Du musst wissen«, sagte sie vertraulich, »dass dieser mutige und erfindungsreiche Mann in Wirklichkeit wie ein Schoßkind war: Er ließ sich nur zu gern verwöhnen. Es gefiel ihm, wenn seine Geliebten sich vor ihm fürchteten, aber zugleich mochte er es auch, wenn sie ihn verhätschelten und ihm mit Geschenken schmeichelten. Er bekam gern allerlei Geschenke.« Kalypso seufzte. »Ich musste ihm von den Geheimnissen der göttlichen Familie erzählen, von der Erschaffung der Welt, vom Ursprung der Götter und der Menschen. Während ich erzählte, trank er Wein und hörte mit glänzenden Augen zu. Aber er mochte es auch, wenn meine Dienerinnen ihn badeten, seinen vielerduldeten Körper salbten und massierten. Schließlich hat er mir alles weggenommen.« Nun klang Kalypsos Stimme dumpf. »Ich habe ihm die göttlichen und die irdischen Geheimnisse anvertraut. Ich habe ihm meine Liebe gegeben. Als er abfuhr, füllte ich auf seinem Floß den Mantelsack mit fettem Fleisch und die Schläuche mit süßem Wein. Ich wusste, dass er in der Welt, in die er zurückkehrte, schillernden Tand brauchen würde, deshalb zögerte ich keinen Augenblick und gab ihm meinen Schmuck. Als sein Floß auf den Wogen des weinfarbenen Meeres davonglitt, habe ich ihm mit tränenblindem Blick hinterhergesehen. Mein ganzer Körper juckte, weil ich auch eine Hautkrankheit von deinem Vater bekommen habe«, sagte sie vertraulich. »Aber das ist nicht so wichtig. Später ist dank Hermupoa, einer Salbe des heilenden Hermes, diese Krankheit, die Ulysses mir zur Erinnerung hinterlassen hat, wieder weggegangen.« Sie seufzte bitter. »Alles habe ich ihm gegeben, das ist die Wahrheit.«
    Jetzt war sie ganz weich gestimmt und nahm das Taschentuch an Mund und Augen. So sagte sie, mit keuchender, tiefer Stimme:
    »Sieben Jahre lang hat er hier mit mir gelebt. Meinen Schmuck hat er weggetragen. Auf der Erde und im Olymp hat er mich in Verruf gebracht. Auch eine Krankheit habe ich von ihm bekommen. Das ist alles wahr.«
    Ich senkte den Blick und betrachtete den Marmorfußboden. Kalypsos Busen entrang sich ein Seufzer. Sie lächelte durch ihre Tränen und sagte züchtig:
    »Aber alles in allem war er großartig!«
    In diesem Augenblick war die alte Nymphe wirklich ergreifend weiblich. Mit ihren Händen mit den rotlackierten Fingernägeln strich sie ihr in großartige Locken gelegtes Haar zurecht, denn in der Hitze der Erinnerung hatte sie mit unruhigen Fingern ihre Frisur ein wenig in Unordnung gebracht. Verstohlen beobachtete ich ihre Bewegungen, denn ich wollte gern Botschaft davon nach Ithaka bringen, ob es stimmte, dass die Geliebte meines Vaters eine Perücke trug, wie es meine strahlende Mutter erzählt hatte. Aber die feuerfarbene Haarpracht verriet ihr Geheimnis nicht. Kalypso wurde mitteilsamer; jetzt, nachdem sie das Schwierigste ausgesprochen hatte, entströmten ihr erleichtert die Worte.
    »Großartig war er!«, rief sie

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