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Die Freundin meines Sohnes

Die Freundin meines Sohnes

Titel: Die Freundin meines Sohnes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Grodstein
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Philadelphia stanzte sie Ösen in Kalbleder, bis sie schmerzende Schwielen an den Händen hatte, die hart wie Stein waren. Ihr Vater und ihre Mutter waren im Holocaust umgekommen.
    »Und, wie geht’s dem Baby?«, fragte sie und stellte einen Teller mit trockenen Plätzchen auf den Tisch. Ich spürte einen kühlen Hauch im Nacken: Ich war über die Maßen gerührt, dass sie sich trotz der schweren Erkrankung ihres Mannes an unseren fünf Monate alten Sohn erinnerte.
    »Er entwickelt sich prächtig, Mrs. Stern. Danke der Nachfrage.«
    »Haben Sie Fotos?«
    »Ob er Fotos hat«, sagte Joe prustend, und ich zog brav meine Brieftasche aus der Jacke. Darin befanden sich, in einem kleinen Album Fotos meines Sohnes, beginnend mit Fotos vom Neugeborenen mit Krankenhausbändchen um den Fuß bis hin zu Fotos mit dem sabbernden, wackeligen Pummel dieser Tage: ich auf der Couch, der schlafende Alec auf meiner Brust, Alec und Elaine am Kinderschwimmbecken im JCC, Alec mit einem Bart aus hausgemachtem Erbsbrei, einen Löffel schwenkend.
    »Großartig«, sagte sie seufzend. »Ein großartiges Kind. Er hat Ihr Kinn, oder?«
    »Ehrlich gesagt, soviel Kinn sehe ich bei ihm noch gar nicht.«
    »Ich seh’s aber«, sagte sie, nahm das Album und hielt es sich vor die Augen. »Da ist es, Ihr raffiniertes kleines Kinn. Und das Lächeln hat er von Elaine.«
    Wie war es möglich, dass sie sich an Elaines Lächeln erinnerte? Das war doch Jahre her. »Sie haben recht«, sagte ich. »Das Lächeln ist Elaine pur.«
    »War nicht so einfach, ihn zu bekommen, oder?«
    »Wie bitte?«
    »Ich hab Joe immer gefragt, wann bei euch ein Kind kommt, und er hat gesagt, ich soll mich um meine Angelegenheiten kümmern. Aber bei Babys sind keine Neuigkeiten schlechte Neuigkeiten. Vor allem, weil ich euch zwei ja mit unsererLaura erlebt habe, ihr seid so nett mit ihr umgegangen. Die geborenen Eltern, hab ich immer gedacht.«
    »Vielen Dank, Mrs. Stern. Es ist ein wirklich überwältigendes Gefühl. Wir genießen es sehr.« Sie nickte, natürlich genossen wir es sehr. »Und Sie haben recht, es war nicht so einfach. Aber das Warten hat sich gelohnt.«
    Mrs. Stern fuhr sich mit der Hand über die Augen. Ich musste an unsere Abschlussfeier an der Pitt denken, wir standen in einer Gruppe zusammen, und Mrs. Stern war die Einzige unter einem halben Dutzend Müttern, die partout nicht weinen wollte, und jetzt stiegen ihr bei meiner Fruchtbarkeitsproblematik Tränen in die Augen.
    »Nicht mehr lange hin, und wir haben sechs Enkel, wissen Sie das?«
    »Ja.«
    »Susie hat zwei, Annie hat zwei, und bald hat Joe auch zwei. Iris bekommt einen Jungen.«
    »Ich weiß.«
    »Sie wollen ihn nach Niels nennen.«
    Ich sah auf meine Fotos, auf meinen pummeligen engelsgleichen Sohn. »Vielleicht lernt Niels ihn ja noch kennen – und dann nennen sie ihn nach jemand anderem?«
    »Vielleicht«, sagte Mrs. Stern, hustete und schob den Keksteller zu mir herüber. »Wo ist Joe hin? Kaum kommt er mal her, ist er schon wieder verschwunden. Was passiert ist, macht ihm wahrscheinlich sehr zu schaffen. Er ist wirklich empfindlich, meinen Sie nicht auch?«
    »Joe?«
    »Deswegen ist er Kinderarzt. Er mag nur glückliche Medizin.«
    Wer hatte ihr weisgemacht, Kinderheilkunde sei glückliche Medizin? »Für niemanden ist es leicht.«
    »Susie kommt jeden Tag«, sagte Mrs. Stern. »Sie bringt dieZwillinge mit, sie kommt immer nachmittags, damit ich mal Pause machen kann. Sie schafft das sehr gut. Ich hab immer gedacht, sie hätte eigentlich Ärztin werden sollen, wissen Sie. Sie ist härter im Nehmen als Joseph.«
    »Joe ist schon ziemlich hart im Nehmen…«
    Mrs. Stern schüttelte den Kopf. »Nein, er ist wie ein rohes Ei. Er ist so zartbesaitet. Anders als sein Vater. Manchmal kann ich an nichts anderes denken als an die Schmerzen, die er hat, und ich sehe, wie er sich anstrengt, um sich nichts anmerken zu lassen.«
    Ich wollte etwas Sinnvolles sagen. »Die Medikamente«, ich suchte nach Worten, »sollten es erträglich machen.«
    »Aber wie könnte man trotz der Medikamente vergessen, verzeihen Sie, dass ich das sage, dass man stirbt.«
    Ein Ächzen, ein hackender Husten, und Mr. Stern stand neben dem Tisch. Gezeichnet, ja, und viel zu dünn, aber ordentlich angezogen, mit weichem Button-down-Hemd und gestreifter Hose. Ich hatte mit Bademantel und Zottelbart gerechnet. Joe führte ihn am Arm.
    »Mr. Stern.« Ich stand auf, war unsicher, was ich tun sollte und streckte ihm schließlich die Hand

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