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Die Frühreifen (German Edition)

Die Frühreifen (German Edition)

Titel: Die Frühreifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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mag. Das wäre furchtbar. Vor allem, nachdem sie schon soviel Energie aufgebracht hat! Nachdem sie ein traumhaftes Comeback erlebt hat! Das wäre so, als würde die gesamte Ungerechtigkeit der Welt über sie hereinbrechen. Das wäre wirklich hart.«
    »Was kann ich dafür? Was soll ich denn machen? Als könnte ich was machen… Was?… Ich kann wirklich nichts dafür, hörst du?… Was?«
    Éric hatte eine Tasche mitgebracht, die er neben sich auf die Erde gestellt hatte. Er beugte sich hinab und holte eine Schachtel mit einem schönen goldenen Band daraus hervor.
    »Das sind ihre Lieblingspralinen«, erklärte er und reichte Evy die Schachtel. »Ich denke, die solltest du ihr schenken. Für solche kleine Aufmerksamkeiten ist sie im Moment bestimmt sehr empfänglich… Damit machst du ihr garantiert eine Freude.«
    Diesmal hatte André beschlossen, nach der Veranda noch einen Anbau für einen Fitnessraum im Hause seines Sohnes errichten zu lassen, und offiziell war er da, um die Arbeiten zu überwachen – die nebenbei gesagt trotz der ständigen Anwesenheit des verrückten alten Pedanten gut vorangingen.
    Nicht gerade begeistert deutete Éric mit dem Kinn auf André Trendel, der zusah, wie die Spiegel entladen wurden, die als Verkleidung der Innenwände vorgesehen waren.
    »Wir können leider nicht auf ihn zählen, um die Atmosphäre zu entspannen«, seufzte er. »Aber sag mal: Habt ihr inzwischen schon was gehört?«
    Nein, sie hatten nichts gehört. Wie vereinbart rief Inspektor Chose jeden Abend um die gleiche Zeit an, und sobald er Laure an der Strippe hatte, öffnete er seinen Hosenschlitz, und sobald er ihre Stimme hörte, wichste er sich einen ab, von Richard dagegen hatte er nichts gehört, ihr nichts zu berichten, er bemühte sich nur, das Gespräch in die Länge zu ziehen.
    »Das tue ich doch gern für Sie«, versicherte er und bemühte sich dabei, auf die Öffnung eines Briefumschlags aus Kraftpapier zu zielen, den er aus dem Papierkorb gefischt hatte.
    »Das ist wirklich nett von Ihnen, Inspektor.«
    »Ihr Mann hat wohl den Verstand verloren. Meiner Ansicht nach ist Ihr Mann durchgedreht. Madame Trendel, wie sollte er sonst auf den Gedanken kommen, anderswo eine Frau zu suchen, die sich mit Ihnen vergleichen läßt? Das möchte ich gern mal wissen.«
    Laure glaubte, daß Inspektor Chose Atembeschwerden hatte, dabei war er noch ein ziemlich junger Kerl, der ohne Bedenken seinen Samen verschleuderte und eine Vorliebe für berühmte, reife Frauen hatte – wie etwa Courtney Love, aber es war ihm nie gelungen, sich ihre Adresse oder ihre Telefonnummer zu besorgen. Wenn er auflegte und die eisige Stille Inspektor Choses heisere Stimme ersetzte, blickte sie sich um und stellte fest, daß sie mit ihrem Schwiegervater allein war, und es kostete sie große Anstrengungen, den Schrei zu unterdrücken, der aus ihrer Kehle zu dringen drohte.
    Eines Abends hatte er ihr gesagt, daß Richard ihn wieder einmal zu Tode beschäme, daß er vor Entrüstung, Trauer und Wut ersticke, und sich dann entschuldigt, daß er nicht mehr zu diesem Thema sagen könne, wobei er die Hand an die Kehle legte und sofort die Tafelrunde verließ, um im Abendwind, der in den Zweigen raschelte, sobald die Sonne untergegangen war, wieder normal atmen zu können. Dann setzte er sich ins Gras. Oder besser gesagt, er ließ sich in seiner weißen Hose ins Gras fallen. Und als sie sich später in ihrem Zimmer abschminkte, konnte sie feststellen, daß er sich nicht von der Stelle gerührt hatte und wie versteinert wirkte.
    Sie schlief schlecht, ihr Schlaf war völlig unregelmäßig geworden. Oder aber sie mußte solche Mengen Schlaftabletten schlucken, daß ihre Kraft kaum ausreichte, um sich morgens aus der Betäubung zu reißen, in der sie versunken war, und es eine echte Leistung für sie bedeutete, wenn sie es bis ins Badezimmer geschafft hatte, wobei man sie jammern hörte wie ein kleines Mädchen in einem etwas zu dunklen Wald.
    Es war inzwischen ihr achtundvierzigster Drehtag, und sie betrachtete es als ein Wunder, daß sie noch da war, noch fähig, zu drehen und sich auf ihre Rolle zu konzentrieren angesichts der Situation, mit der sie im wirklichen Leben konfrontiert war, dieser irrsinnigen, dantesken Situation: Richard, der sie alle sitzengelassen und Reißaus genommen hatte. Völlig unglaublich, nicht wahr? Völlig unerwartet, Richard, der plötzlich beschlossen hatte, er habe seine Strafe verbüßt und seine Handlungsfreiheit

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