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Die fünf Leben der Daisy West

Die fünf Leben der Daisy West

Titel: Die fünf Leben der Daisy West Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cat Patrick
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ob ich dich im Arm halten oder hassen soll.«
    Ich bringe keinen Ton heraus. Matt wendet sich zur Tür. »Ich muss los.«
    Und dann geht er, halb angezogen, wie er ist, aber ich sage nichts. Vielleicht kommt ihm Mason auf dem Weg nach draußen entgegen – wer weiß, wann er zurückkehrt – oder er verschreckt Kinderwagen schiebende Mütter auf der Straße. Mir ist es im Moment egal, wie Matt aussieht, und ich weiß, dass es ihm genauso geht. Wenn jemand stirbt – wirklich stirbt – sind Dinge wie Aussehen egal.
    Niemand hat mich je vorgewarnt, aber alles ist egal.

Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012
31
    Ich starre an die Decke meines Zimmers, denke oder denke nicht, schwebe oder liege einfach nur dort. Ob ich vor drei Tagen oder drei Stunden bei Matt war, weiß ich nicht mehr: Die Zeit vergeht in seltsamen Schritten. Die Lampe auf meinem Nachttisch summt so laut, dass ich sie am liebsten zerschmettern würde, doch ich bin am ganzen Körper taub. Meine Arme liegen wie festgeklebt neben meinem Körper. Ich schaue auf mein Telefon und registriere die Zeit. In dem Moment, als ich den Blick abwende, habe ich sie bereits vergessen.
    Mason ist zurück.
    Cassie ist zurück.
    Jemand bringt mir etwas zu essen, doch ich nehme nichts zu mir. Ich untersuche die Mahlzeit wie ein Fossil und ziehe aus dem Inhalt des Tellers meine Schlüsse: sieht nach Frühstück aus, anscheinend ist Morgen. Es gibt Pancakes mit Blaubeeren, das heißt, Mason macht sich Sorgen um mich. Außerdem liegt dort eine Vitamintablette, das heißt, er macht sich große Sorgen.
    Gerade als ich beginne, mich selbst über meinen archäologischen Ansatz zu amüsieren, wird mir wieder bewusst, dass Audrey tot ist. Ich sitze hier und zähle die Blaubeeren auf meinem Teller und Audrey wird nie wieder frühstücken.
    Plötzlich kommen mir die Pancakes wie eine Beleidigung vor.
    Ich schiebe das Tablett ans Fußende des Betts, lege mich auf die Seite und rolle mich in Embryonalhaltung zusammen, weil ich das alles nicht ertrage. Nie mehr werde ich mit ihr zusammen zurSchule fahren. Nie mehr werde ich sie zum Mittagessen treffen. Sie wird mich nicht mehr damit necken, dass ich ihren Bruder mag oder weil mein Musikgeschmack so anders ist als ihrer. Sie wird mir nie wieder Kleidung leihen oder mir von Bear oder Jake oder sonst wem erzählen.
    Sie ist tot.
    Mein Telefon läutet, es ist Megans Klingelton. Ich nehme nicht ab. Ich hebe nicht einmal den Kopf. Ärger steigt in mir auf. Ich hätte nicht in Seattle sein dürfen, als Audrey gestorben ist. Ich hätte wissen müssen, dass etwas bevorsteht. Ich hätte hierbleiben müssen.
    In mir zieht sich alles zusammen, mein Herz ist gebrochen. Telepathisch flehe ich Matt an, herzukommen und sich neben mich zu legen. Ohne mich zu küssen oder Ähnliches. Nur, um neben mir zu liegen. Ich stelle mir vor, wie er mir tief in die Augen schaut, so wie in Kansas City, doch alles, was ich sehe, sind Tränen für seine tote Schwester.
    Ich ziehe mir das Kopfkissen über den Kopf, aber die Gedanken sind noch immer da.
    Ich frage mich, ob sie je verschwinden werden.
    Ich bleibe bis zum Abend im Bett und streife dann im Dunkeln durchs Haus. Stundenlang starre ich aus dem Wohnzimmerfenster auf die trostlose Straße, in der Hoffnung Audreys Geist dort zu sehen, wie er mir zuwinkt. Erst kurz bevor die anderen am nächsten Morgen aufwachen, ziehe ich mich in mein muffiges, leeres Zimmer zurück. Ich höre im Bad das Wasser rauschen. Wie das Frühstück zubereitet wird. Mein Telefon klingelt so häufig, dass ich es irgendwann abstelle. Wieder bringt Mason mir etwas zu essen, ich setze meinen Hungerstreik fort.
    »Du musst aufstehen«, sagt Mason. Er geht durch den Raum und reißt die Vorhänge auf. Dann öffnet er das Fenster. Die frische Luft beißt in meiner Nase.
    »Nein«, murmele ich.
    »Wenn du geduscht hast, wirst du dich gleich besser fühlen«, versucht er, mich zu ermuntern.
    Ich lache verbittert. Als würde man mit einer Dusche den Schmerz über Audreys Tod fortwaschen können. »Glaube ich nicht.«
    »Das musst du selbst wissen«, sagt Mason und geht in Richtung Tür. »In einer Stunde fahren wir los zur Beerdigung.«
    Natürlich stehe ich auf.
    Auf wackeligen Beinen – wie ein neugeborenes Reh – taste ich mich durch den Raum. Ich spüre den Mangel an Treibstoff in meinem Körper, doch bei dem Gedanken an Essen würde ich am liebsten brüllen. Ich ziehe frische Unterwäsche aus der Kommode

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