Die Fuenfzig vom Abendblatt
Harald auf gleiche Höhe. Beide, so schien es, gaben ihr Letztes, Alibaba trat, den Kopf tief bis zur Lenkstange gesenkt, wie toll in seine Pedale. Und als er jetzt kaum zwei Radlängen vor Harald durchs Ziel schoß, überschlugen sich die Stimmen der Jungen geradezu. Sie rannten hinter ihm her, zogen ihn von seinem Rad und hoben ihn fast auf ihre Schultern, wie wenn er in diesem Augenblick das „Grüne Band“ schon so sicher in der Tasche hätte wie seine Hausschlüssel.
Aber der Boß der Abendblatt-Jungen war merkwürdig ruhig. Auch jetzt, als ihm Harald die Hand reichte, nahm er sie nur schweigend. Er sagte sehr sachlich zu Brille, daß er genau die Zeiten aller Ankommenden notieren solle und daß er sofort das nächste Feld starten könne, wenn der letzte Fahrer durchgekommen sei.
Dabei hatte er sein Rad zur Seite gestellt und forderte jetzt Harald auf, mit ihm unter die Dusche zu gehen, die nicht weit vom Ziel in einem barackenähnlichen Bau untergebracht war. Tatsächlich waren die Jungen vom Staub der Bahn ziemlich schmutzig geworden.
Als sie über die Barriere stiegen, die den ganzen Platz umsäumte, ging gerade Erwin Kogge durchs Ziel. Er war in den letzten drei Runden doch sehr weit zurückgefallen.
„Zwanzig Runden — das spürt man schon — “
Harald stand in der Baracke unter einer Dusche und hielt den Kopf mit geschlossenen Augen gegen das ziemlich eisige Wasser. Aber der durchblutete und erhitzte Körper spürte die Kälte nicht.
Alibaba, der sich Brust und Arme einseifte, schwieg noch immer. Er stand unter der anderen Dusche, kaum einen Meter von Harald entfernt. Es hatte den Anschein, als sei er ganz mit sich beschäftigt. Aber seine Blicke suchten dabei doch immer wieder und fast etwas versteckt den vom Wasser übergossenen Körper des anderen.
Er, Alibaba, war breiter und stämmiger gewachsen. Obgleich er nicht viel mehr als ein Jahr älter war, wirkte er neben der schlanken Gestalt des anderen schon beinahe männlich. Seine Oberschenkel und Arme waren kräftiger, und ihre Muskeln zeichneten sich deutlich ab. Alibaba reckte die Arme zur Dusche hoch, um das Wasser über sich zu lenken.
Dagegen war Harald schmal und schlank.
Der Boß der Abendblatt-Jungen bückte sich jetzt nach seiner Seife, die ihm aus der Hand geglitten war.
„Du hast deinen Endspurt absichtlich gestoppt. In der Geraden — ich habe es deutlich gespürt — da warst du plötzlich weg — aber nicht, weil du nicht mehr konntest — du wolltest nicht mehr-“
Harald ahnte, daß Alibaba bemerkt hatte, wie er ihn absichtlich vorbei ließ. Es wäre ihm ein leichtes gewesen, vor ihm durchs Ziel zu gehen. Er hatte seinen Endspurt gewaltsam abgedrosselt. Er schwieg also.
„Hast mich wohl schonen wollen. Schonen vor den andern — wie?“
„Vielleicht wollte ich dich auch nur täuschen? Vielleicht wollte ich, daß du am Sonntag mit dem Gefühl des Stärkeren und vollkommen sicher zum Rennen gehst —“
Harald begann nun seinerseits, Brust und Arme einzuseifen. „Das glaube ich nicht — daß du so bist — so raffiniert, das traue ich dir gar nicht zu. Ich kenne dich noch nicht lange, aber ich halte dich trotzdem für verhältnismäßig anständig. Deshalb sag’ ich auch, daß du mich nur schonen wolltest. Ich sollte vor den anderen nicht geschlagen werden — schön! Ist vielleicht sehr freundlich gedacht von dir — gut! Aber, danke, brauche ich nicht „Das Rennen war doch von Anfang an ungleich. Wärst du auf meiner Maschine gefahren, hätte ich mich vermutlich totstrampeln können, ohne auch nur in deine Nähe zu kommen.“
„Das ist ein anderer Film. Den spielen wir jetzt nicht — “
„Aber dann wäre es doch ungerecht gewesen. Rad hin, Rad her — für die anderen wärst du einfach unterlegen, und du bist doch schließlich der Boß, der Chef vom Ganzen —“
„Quatsch doch keine Opern!“
„Ich bin erst ein paar Tage bei euch. Ihr kennt mich nicht — ich kenne euch nicht. Ich will nicht, daß sich durch mich etwas ändert bei euch.“
„Du hättest Pastor werden müssen — du hast so ‘ne rührende Art zu reden!“ Alibaba drehte seine Dusche ab.
„Moment mal! Also, du willst nichts geschenkt, ich auch nicht. Dabei liegt die Sache so, daß der im Vorteil ist, der das Rennen auf meinem Rad fährt. Losen wir einfach: Schere, Papier, Stein — Schere schneidet Papier. Papier wickelt Stein ein, Stein schleift Schere — los! Hände auf den Rücken!“
„Ist ja Unsinn! Wenn das Los
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