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Die Gabe der Magie

Die Gabe der Magie

Titel: Die Gabe der Magie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Duey
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Abendessen
begrüßt. So winkte er uns in einen riesigen Raum mit langen Steintischen, die
von Bänken ohne Rückenlehne flankiert wurden. Ich konnte Essen riechen.
In meinem Mund sammelte sich die Spucke, und meine Augen füllten sich mit
Tränen.
    Der Zauberer zeigte ungeduldig auf die
Bänke, und wir setzten uns. Dann schritt er nach vorne und hob eine Hand. Die
steinerne Wand teilte sich – was mich inzwischen nicht mehr überraschte. Was
mich blinzeln ließ, war der Edelstein, den sie enthüllte. Er war geschliffen,
und jede Facette war nicht weiter als eine Wimpernlänge voneinander entfernt,
und er war so groß wie eines der Frachtschiffe meines Vaters. Zwanzig Männer
hätten auf ihm Platz gefunden, ohne herunterzufallen. Er lag auf einem flachen,
schwarzen Steinpodest. Wie die Tische und die Bänke sah auch dieser Sockel aus,
als wäre er mitten aus dem Gestein herausgehauen worden.
    »Somiss?« Es war Franklins Stimme. Wir
drehten uns allesamt um und sahen ihn auf uns zukommen. Mein Herz machte einen
Satz.
    Der Zauberer mit den hellen Augen wirbelte
ebenfalls herum, und auf seinem Gesicht malte sich unverkennbar Verärgerung.
    »Ja?«
    »Willst du, dass ich …«
    »Nein«, schnitt ihm Somiss das Wort ab.
»Will ich nicht. Bitte, geh wieder.«
    Franklin sah traurig und enttäuscht aus.
Einige Sekunden lang starrten sie einander an. Dann ging Franklin wortlos
davon. Diesmal gab es kein plötzliches Verschwinden, keine Öffnung in der
Felswand, keine Magie. Er lief einfach auf dem gleichen Weg zurück, auf dem er
gekommen war.
    Es gab einen zischenden Laut, als wir alle
ausatmeten. Franklin brachte uns vielleicht
lächerliche Dinge bei, aber ich glaube nicht, dass irgendjemand vor ihm
Angst hatte. Der helläugige Somiss jedoch flößte einem Schrecken ein. Und er
starrte uns an, während er darauf wartete, dass wir uns wieder ihm zuwandten, anstatt
Franklin hinterherzuschauen.
    »Seht gut hin«, knurrte er. Dann blickte
er zu dem merkwürdigen Edelstein und berührte ihn. Er legte seine Handflächen
flach auf die Oberfläche. Es gab ein Geräusch wie weit entferntes Donnern, dann
ertönte etwas Hohes, wie schwache Schreie, und schließlich erfüllte ein kaum
wahrnehmbares Flackern von bläulichem Licht den Raum. Ein Tablett, so groß, wie
es die Hausangestellten meines Vaters nur selten tragen mussten, erschien auf
dem flachen Podest vor dem mächtigen Edelstein. Auf ihm türmten sich Früchte
und Käse, Brotlaibe, dunkel und hell, zu Zöpfen geflochten und einfach. Ich
musste die Hand vor den Mund schlagen, um nicht aufzuschreien.
    »Ihr werdet lernen, den Stein so zu
nutzen, wie ich es getan habe«, sagte Somiss leise mit seiner kratzenden
Stimme. »Oder ihr werdet sterben.«
    Und dann war er nicht mehr da.

21
     
    SADIMA HUSCHTE LEISE DURCH DIE KÜCHE,
SODASS SIE DAS GESPRÄCH MITHÖREN KONNTE.
    »Wiederhole es«, befahl Somiss, und in
seiner Stimme schwang Ungeduld mit.
    Sadima warf einen
Blick ins Wohnzimmer. Der alte Mann legte die Stirn in Falten, als er von vorne
anfing. Die Worte, die er ausstieß, waren seltsam, und sie erinnerten Sadima an
die alten Verse. Sie wusste, dass es viele Leute gab, die verschiedene davon
auswendig wussten – manche sogar ein Dutzend und mehr. Sie selbst kannte keinen
einzigen. Wie war das bei ihrer Mutter gewesen?
    Die Menschen, die die Treppen
hinaufstiegen, um mit Somiss zu sprechen, waren alle ganz unterschiedlich.
Einige waren alt, die meisten von ihnen Frauen, aber gestern war auch ein
junger Mann da gewesen, der Somiss überrascht hatte, indem er darauf beharrte,
dass es eine Melodie gab, die unmittelbar, nachdem der Vers gesprochen worden
war, gesungen werden musste, um alles »richtig zu machen«.
    Sadima rührte die Suppe um, dann stand sie
mit dem Rücken zur Wand und lauschte.
    »Noch einmal«, sagte Somiss. Sadima hörte
den alten Mann seufzen.
    Sie vernahm auch, wie Somiss mit seinem
Stift auf den Tisch trommelte.
    »Noch einmal«, wiederholte er.
    Der alte Mann fing noch einmal von vorne
an. Als er geendet hatte, schwieg Somiss.
    »Ist das alles, wofür
du mich brauchst?«, fragte der al te Mann.
    »Kennst du noch mehr Verse oder Sprüche in
dieser sinnlosen Sprache?«, fragte Somiss.
    »Nein, ich kenne sonst keine«, antwortete
der Mann.
    »Dann geh bitte wieder.«
    Sadima hörte, wie die Tür geöffnet und
geschlossen wurde, und ohne hinzusehen wusste sie, dass Somiss nicht von seinem
Stuhl aufgestanden war, um den alten Mann hinauszubegleiten. Er

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