Die Galerie der Lügen
sie nun schon mehrmals zurückgewiesen hatte. Seine Kameraden waren vollauf damit beschäftigt, die aufgeregten Anwohner zurückzudrängen. Ohnehin verstanden sie wohl nur Italienisch. Der blutjunge Carabiniere wirkte bestürzt.
»Sind Sie verrückt? Da kann jetzt niemand rein.«
»Dass ich nicht lache! Dort hinten wimmelt es nur so von Leuten.«
»Ja, aber die sind befugt, sich hier aufzuhalten.«
»Hören Sie mir eigentlich zu? Ich bin auch befugt. Com an dante Mello kann Ihnen das bestätigen.«
»Bei nächster Gelegenheit werde ich ihn fragen.«
»Seien Sie doch nicht so stur! Mein…« Alex zögerte. Wenn sie nur endlich wüsste, welche Rolle sie Darwin in ihrem Leben zuweisen sollte! Sie schüttelte ärgerlich den Kopf. »Mein Partner ist in der Akademie. Ich muss zu ihm. Lassen Sie mich wenigstens zu den anderen Einsatzkräften durch.«
Der Widerstand des Polizisten geriet ins Wanken.
»Bitte!«, setzte Alex nach und ließ ihre violetten Augen funkeln. Leiser fügte sie hinzu: »Schauen Sie einfach einen Moment zur Seite. Ich sage auch nicht, dass Sie mich haben durchschlüpfen lassen.«
Ein fatalistischer Ausdruck trat auf das junge Gesicht. Der Beamte seufzte. »Also meinetwegen. Aber halten Sie sich bis zur Entwarnung von der Accademia fern. Der Befehlsstand von Comandante Mello befindet sich in der Straße, die um die Piazza herumführt, hier gleich rechts um die Ecke.« Er drehte sich in der Hüfte und deutete zu der Einmündung. »Ob Sie ihn da allerdings antreffen, wage ich zu bezweifeln.«
Alex fühlte vor Aufregung ihr Herz schlagen. »Danke. Sie sind ein Schatz.«
»Ich bin ein Niemand und habe nichts gesehen.«
Sie nickte. »Alles klar.«
Alsbald widmete sich der junge Carabiniere sehr gewissenhaft einigen wild herumbrüllenden Landsleuten. Hierzu hakte er sich sogar vom Kameraden zu seiner Rechten los. Alex wartete einen passenden Augenblick ab. Als der zweite Polizist abgelenkt war, schlüpfte sie zwischen den beiden hindurch.
Kurz darauf erreichte sie die mobile Kommandozentrale auf der Piazza di San Marco, einen Truck mit einem Haufen Antennen auf dem geschlossenen, blauen Anhänger. Der Einsatzleiter war, wie befürchtet, nicht dort. Aber ein anderer Carabiniere erkannte Alex wieder. Es war derselbe Mann, der für sie zuvor in der Eingangshalle der Akademie den Krankenwagen angefordert hatte.
»Comandante Mello ist vorne bei der Accademia«, erklärte der Polizist. Er stand in der Tür des Anhängers.
»Kann ich zu ihm?«
»Erst wenn das Gebäude für sicher erklärt worden ist.«
»Und wie erfahren Sie davon, wenn Ihre Walkie-Talkies nicht funktionieren?«
»Irgendjemand wird vorbeikommen und es uns sagen.«
Alex atmete tief durch. »Darwin Shaw – mein… Partner – ist in der Akademie.«
Der Carabiniere schluckte. »Ich weiß. Rechnen Sie mit dem Schlimmsten.«
Am liebsten wäre Alex dem Kerl an die Gurgel gegangen. Hätte er nicht etwas anderes sagen können? Machen Sie sich keine Sorgen. Er wird schon auf sich aufgepasst haben. Stattdessen ging er gleich vom schlimmsten anzunehmenden Fall aus. Sie atmete trotzig durch.
»Ich muss wissen, wie es ihm geht. Bringen Sie mich zu Ihrem Comandante.«
Der Carabiniere sah sie mürrisch an. Offenbar musste ihr die Unnachgiebigkeit ins Gesicht geschrieben stehen, denn nach einigen Sekunden rief er etwas auf Italienisch in den Anhänger hinein. Vielmehr als den Namen Tomaso verstand sie nicht.
»Kommen Sie, Signora. Ich bringe Sie zu Ihrem Partner«, sagte der Polizist sodann und wies mit der Hand in Richtung Via Ricasoli.
Quälend lange Minuten verstrichen. An der Seite des Beamten, der sich ihr mittlerweile als Ernesto Stagi vorgestellt hatte, wartete Alex auf Einlass in das Gebäude. Zuvor waren ganze Divisionen Bewaffneter hinein- und wieder herausgelaufen, so kam es ihr zumindest vor. Auch einen Notarzt in Begleitung mehrerer Sanitäter hatte sie in das Museum eilen sehen, was ihre Sorge um Darwin nur noch verstärkte. Immer noch konnte oder wollte ihr niemand sagen, was genau in der Galleria dell’Academia vorgefallen war.
Endlich trat eine Frau ins Freie, die nicht wie eine Polizistin aussah.
Sie trug einen braunen Hosenanzug und hatte ihr blondes Haar zum Pferdeschwanz gebunden. Soweit Alex das im pulsierenden Sirenenlicht der Streifenwagen beurteilen konnte, war die Fremde leichenblass.
»Das ist die Direktorin, Dr. Marinelli«, erklärte Stagi.
Alex näherte sich der Frau, stellte sich vor und fragte nach
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