Die Gamant-Chroniken 03 - Die Prophezeiung von Horeb
liebet die Tore Zions mehr als alle Häuser Jacobs?‹ Die ›Tore Zions‹ – das sind die ›Tore der Welt‹; denn Tor bedeutet eine Öffnung, wie es geschrieben steht im Psalm 118; 19: ›Öffne für mich die Tore der Rechtschaffenheit.‹ Und so sagt Gott: Ich liebe die Tore Zions, wenn sie geöffnet sind. Und warum? Weil sie sich auf der Seite des Bösen befinden.«
Das Buch Bahir
1180 A.D. Alter Erd-Standard
Aufbewahrt im Museum des Altertums
Frankreich, Alte Erde
Nathanaeus und Yeshwah blickten zu den mächtigen Steinmauern von Epitropos’ Palast empor, die schier unendlich in den Himmel aufzuragen schienen. Beide trugen Schwerter an den Hüften und mit Pfeilen gefüllte Köcher auf dem Rücken. Ihre Bogen hatten sie an den Gürteln befestigt. Ein leises Grollen erfüllte die Luft. In der Menge, die sich hier zusammengefunden hatte, wurden Fäuste geschüttelt und Drohungen gerufen.
Yesu – das war die aramäische Kurzform von Yeshwah und zudem der Name, den Nathanaeus in den letzten fünfzehn Jahren für seinen besten Freund benutzt hatte – machte einen entschlossenen Eindruck. Er stand gerade aufgerichtet da, und seine dunkelbraunen Augen waren fest auf den Balkon gerichtet, auf dem Lucius Pontius, der Epitropos, erscheinen sollte, um auf ihre Klagen zu antworten.
Nathanaeus verlagerte sein Gewicht auf den linken Fuß. Seit der Morgendämmerung standen sie nun schon hier und warteten. »Das ist doch verrückt, Yesu. Was ist, wenn uns jemand erkennt? Wir sollten besser gehen.«
Yesu schüttelte ruhig den Kopf. »Wir können nicht heimgehen, Nathan. Diesmal ist er zu weit gegangen.«
»Aber du weißt, was geschieht, wenn sie uns hier entdecken …«
»Hast du Angst vor dem Tod? Ich dachte, diese Zeit wäre schon längst vorbei. Hat nicht der Paquid uns gelehrt, Leben und Tod seien das gleiche?«
Nathan seufzte und verschränkte die Arme vor der Brust. »Er hat es mich ebenso gelehrt wie dich. Trotzdem ist mir nicht wohl bei dem Gedanken. Der Anblick von Blut beunruhigt mich eben, besonders, wenn es sich um mein eigenes handelt.«
Als hätte er gar nicht zugehört, schaute Yesu zum Balkon hinauf. »Der große Pontius Pilatus hat offenbar auch noch den letzten Rest seines Verstands verloren. Wie konnte er den heiligen Tempelschatz einziehen, um den Bau das Aquädukts zu finanzieren? Ihm mußte doch klar sein, daß es deswegen zu einem Aufstand kommen würde.«
»Ich bin sicher, genau das war auch sein Ziel. Auf diese Weise hat er wenigstens einen Vorwand, uns umzubringen.«
»Das bezweifle ich nicht«, erwiderte Yesu. »Hast du auch heute morgen das Gerücht gehört, wonach Pilatus mehrere Galiläer getötet und ihr Blut mit dem ihrer Opfertiere vermischt hat? Die alte Frau, die es mir erzählte, behauptete, sie hätte das von Ben Panthera, dem falschen Propheten, erfahren.«
»Panthera? Der ist doch verrückt. Weshalb sollte ihm irgend jemand Glauben schenken?«
»Weil Pantheras Wahnsinn ihm eine sonderbare Macht verleiht.«
Nathan schnaubte verächtlich. »Ja, ich habe gesehen, wie er predigt, und ich weiß, was du meinst. Letzte Woche war ich bei seiner triumphalen Rückkehr nach Natzaret dabei. Seine eigenen Leute, Menschen, die ihn schon als Kind kannten, haben ihn aus dem Tempel gejagt und dabei geschrien, er sei von Dämonen besessen.«
Yesu zuckte die Achseln, und Nathan tat es ihm gleich. Jeder, dessen Predigt von der herrschenden Lehrmeinung abwich, mußte damit rechnen, der Schwarzen Magie bezichtigt zu werden.
»Wenn Ben Panthera anfängt, unseren großen Führer Lucius Pontius Pilatus zu unterstützen, werde ich mir auch Gedanken darüber machen, ob er von Dämonen beeinflußt wird«, erklärte Yesu. »Im Moment ist er aber nichts weiter als ein lästiger Störenfried.«
»Ich hoffe, du hast recht. Manche behaupten auch, er sei die heilige Schlange und gekommen, um uns zu befreien.«
»Lächerlich«, erwiderte Yesu. »Die heilige Schlange muß erst in die Tiefen des Abgrunds hinabsteigen, bevor sie die Schlangen unterwerfen kann. Ben Panthera hat in seinem ganzen Leben noch nichts wirklich Böses gesehen …«
Er hielt inne, als ein Dutzend in Bronze gerüstete Reiter um die Ecke des Palastes bogen. Ihre erhobenen Schwerter blitzten wie flüssiges Silber in der Sonne. Die tiefe Stimme des Centurio an der Spitze trug weit über den Platz: »Ihr frommen Narren wollt euch beim Prokurator wegen des Tempelschatzes beklagen, wie? Nun, hier kommt seine
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