Die Gassen von Marseille
gefällt ihr …
»Nein, siehst du, ich ziehe meinen Mantel aus … Aber ich würde gerne eine Zigarette rauchen. Du hast gesagt, du hättest welche?«
Der Junge legt ebenfalls seinen Mantel ab und nimmt eine Zigarette aus einer bunten Schachtel mit italienischem Aufdruck. Dann holt er zwei Gläser und spült sie in dem winzigen Becken.
»Magst du einen Schluck Grappa?«, fragt er.
Ja, ein bisschen Alkohol würde ihr guttun. Sie hustet, denn sie ist das Rauchen nicht gewohnt, und der braune Tabak kratzt in ihrer Kehle … Der junge Mann schenkt den Alkohol ein und legt noch ein Holzscheit ins Feuer. Sie probiert den Schnaps und verschluckt sich. Er ist sehr stark, sie hat noch nie so starken Alkohol getrunken. Lachend klopft Agostino ihr auf den Rücken.
»Du bisst nist dafür gessaffen, einen Italiener ssu heirraten! Perché du bisst aus ZZucker …«
Aus Zucker! Sie, die jeden Morgen um fünf Uhr aufsteht, um in der Bar zu arbeiten … Und nebenher noch zur Schule geht … Wütend verpasst sie dem jungen Mann einen raschen Schlag in den Bauch, so wie die cacous draußen auf der Straße, wenn sie sich gegenseitig ihre Männlichkeit beweisen wollen … Unter ihrer Faust spürt sie seine harten Muskeln. Er krümmt sich zusammen … Zärtlich betrachtet sie ihn. Dieser hartgesottene Bursche wirkt so zerbrechlich … Plötzlich beunruhigt es sie, wie still er daliegt.
»Agostino? Agostino …?«
Sie gerät in Panik, schüttelt ihn. Er rührt sich immer noch nicht.
»Agostino, sei kein stasi …«
Da packt er sie plötzlich, zieht sie zu sich runter und klemmt sie zwischen seinen starken Armen ein. Vor Überraschung schreit sie auf.
»Lass mich los … Du tust mir weh, du Grobian!«
Sofort lockert er seinen Griff und entschuldigt sich: »Das tut mir leid.«
Sie reibt sich das rechte Handgelenk, an dem er sie gepackt hatte. Jetzt lächelt sie wieder, denn in Wahrheit tut es überhaupt nicht weh, aber so gewinnt sie ein wenig Macht über ihren schönen Geliebten. Unwillkürlich lacht sie fröhlich auf. Er ist völlig erschüttert von der Vorstellung, er könnte grob zu ihr gewesen sein. Sie packt ihn beim Kopf, legt sich auf ihn und küsst ihn leidenschaftlich. Nach und nach weicht das Lachen einem Hineinhorchen in ihre Körper. Der junge Mann zieht sie aus. Sie gleitet zwischen die Laken und sieht den Jungen an. Noch nie hat sie einen nackten Mann in natura gesehen … mit einer Erektion. Das Glied des Jungen erscheint ihr riesig.
Verlegen über seine Erektion, schlüpft er unter das Federbett. So bleiben sie nebeneinander liegen, betrachten den Mond und halten einander bei der Hand. Sie klettert auf den Jungen, sein warmes, nervöses Glied … Sie nimmt es in die Hand.
»Hör zu, wenn du nicht …«, flüstert Agostino.
Sie spürt, dass er Angst hat … genau wie sie …
»Psst … sei still. Wir werden es tun … Ich möchte es …«
Sie führt sein Glied zwischen ihre Schenkel und lässt sich vorsichtig darauf herabsinken. Sie schreit auf. Agostino hält ihren Hintern.
»Warte, beweg dich nicht«, bittet sie ihn.
Und dann gibt sie sich ihm hin, in einem langsamen Auf und Ab, das sie schon bald aufstöhnen lässt …
DER NEUE LEITPLAN FÜR MARSEILLE
Marseille, städtische Zeitung, Oktober 1942
»… Diese wurmstichige Hölle, dieser sich zersetzende Leichenhaufen … ist das Reich der Sünde und des Todes. Welche Möglichkeiten haben wir, die einstigen Patrizierviertel, die dem Gesindel, dem Tod und der Schande überlassen wurden, von ihrem Eiter zu befreien und wiederzubeleben? …«
Louis Gillet, Mitglied der Académie Française
Sie bedeckt den Körper ihres Geliebten mit Küssen. Ihre Scheide schmerzt, aber sie ist glücklich. Sie hat nicht geschlafen. Immer wieder sagt sie sich: »Jetzt ist es so weit, jetzt bin ich seine Frau …«
Sie schüttelt ihn zärtlich.
»Agostino, ich muss gehen, es ist schon spät …«
Mit einem Ruck wacht er auf.
»Bleib noch liegen, ich mach uns einen Kaffee.«
Der Junge springt mit einem Satz auf, völlig nackt – wie schön er doch ist! Er legt ein Holzscheit in den Ofen. Sofort flackern fröhliche, helle Flammen auf. Agostino macht einen Kaffee, der nach richtigem Kaffee riecht, und stellt zwei große Tassen und Croissants auf den winzigen Tisch. Wo hat er in diesen Zeiten bloß Kaffee und Croissants aufgetrieben …? Sie stellt sich vor, wie viel Schwarzhandel ihn das gekostet haben muss. Er kommt ans Bett, und sie richtet sich
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