Die Gebrüder Kip
drei Uhr zeigte das Fahrenheitsche Thermometer im Schatten 103 Grad (39° 44 Celsius), und gegen fünf Uhr war der Barometer auf siebenundzwanzig Zoll (730 Millimeter) herabgegangen. Dieses schnelle Sinken der Quecksilbersäule kündigte eine tiefe Störung der Atmosphäre an.
Der schon stärkere Seegang mit zuweilen sich überschlagenden Wellen verriet, daß von Westen her ein Sturm im Anzuge war.
Die Störung der Atmosphäre wurde bald durch ein heftiges Gewitter eingeleitet. Nachdem aus der Entfernung schon lange das Grollen des Donners hörbar gewesen war, zischten gegen neun Uhr über das Meer hin so häufige und so blendende Blitze, daß dieses sie widerspiegelnd feurige Wasserberge dahinzuwälzen schien. Trafen sie auch nicht dessen Oberfläche, so schlugen sie doch unaufhörlich von einer Wolke zur anderen über. Die Donnerschläge wurden dabei so mächtig, daß sie das Ohr ebenso betäubten, wie die elektrischen Entladungen die Augen blendeten.
Gegen elf Uhr erreichte das Unwetter seine größte Heftigkeit. Der Blitz schlug mehrmals in die Spitzen der Maste ein, richtete aber keinen Schaden an, da er sich längs der Ableitungen im Meere verlor.
Kein Zweifel, daß diesem Unwetter ein heftiger Sturmwind nachfolgen werde, und es galt nun vor allem sich darauf vorzubereiten.
Augenblicklich konnte, wie Flig Balt gesagt hatte, nicht davon die Rede sein, in den Schutz einer Küste zu flüchten. Im Gegenteil stand der Brigg, wenn sie dabei auch nach dem Salomonsarchipel getrieben wurde, doch nur der Weg nach Osten offen.
Vor dem Deckhause stehend, konnten sich Hawkins, Flig Balt und Karl Kip nicht darüber täuschen, daß sie ein schwerer Sturm bedrohte.
»Der Orkan wird über uns kommen, sagte der Reeder.
– Ohne Zweifel, bestätigte Flig Balt, und diesmal handelt es sich nicht nur um eine Bö, die kaum ein paar Stunden anhält.
– Das ist leider zu befürchten, antwortete Hawkins.
– Wir werden genötigt sein, aufs offene Meer hinaus zu flüchten, bemerkte Flig Balt.
– Warum sollten wir den Wind nicht gerade von vorn nehmen? fragte Karl Kip. Wenn wir dazu beilegen…
– Wäre das ratsam? unterbrach ihn Flig Balt. Würde sich ein Schiff, das so schwer beladen ist wie der ›James-Cook‹, der schon etwas über seine Schwimmlinie eintaucht, noch mit den Wellen heben und senken? Würde es nicht viel mehr in gefährlichster Weise Wasser übernehmen?
– Ein Seemann soll in erster Linie seinen Kurs halten, entgegnete Karl Kip, er flieht vor dem Sturme nur, wenn ihm nichts anderes übrig bleibt!
– Das ist auch meine Ansicht, erklärte Hawkins, denn wir könnten gar zu weit nach Osten verschlagen werden.
– Sogar nach Nordosten, setzte Karl Kip hinzu. Schon jagen die Wolken von Südwesten einher und mit Rückenwind kämen wir in die Gegend der Salomonsinseln.«
Gewiß… das kam aber Flig Balt und Vin Mod gerade gelegen.
Der frühere Bootsmann mußte immerhin erkennen, daß aus dem Holländer der erfahrene Seemann sprach, anderseits aber paßte es ihm gar nicht, sich diese Gelegenheit zu einem Kurswechsel des »James-Cook« entgehen zu lassen.
»Die Verantwortlichkeit liegt auf mir, als dem Kapitän, das wird Herr Hawkins einsehen, und ich habe von Herrn Kip keine Anweisungen zu erhalten…
– Was ich äußerte, waren keine Anweisungen, sondern Ratschläge, antwortete Karl Kip, dem diese Starrsinnigkeit etwas verdächtig erschien.
– Ich brauche weder die einen, noch die anderen, erwiderte Flig Balt, offenbar gereizt von dem Widerspruche, den er fand.
– Meine Herren, nahm jetzt Hawkins das Wort, machen Sie dem Geplänkel ein Ende!.. Ich danke Herrn Kip für seine gewiß wohlgemeinten Ratschläge, da der Kapitän Balt aber diese nicht befolgen zu müssen meint, so handle er nach eigenem, bestem Wissen. Ich hab’ ihm einmal die Führung des Schiffes anvertraut, und es ist sein Recht, die Verantwortung für seine Maßnahmen auf sich zu nehmen.«
Karl Kip verneigte sich höflich und wendete sich darauf seinem Bruder zu.
»Dieser Flig, sagte er, scheint mir ganz unfähig als Befehlshaber zu sein… er wird das Schiff jedenfalls ins Verderben führen. Doch wie dem auch sei: er ist jetzt einmal der Kapitän!«
Jedenfalls war jetzt kein Augenblick mehr zu verlieren. Die Windstärke wuchs von Minute zu Minute, und die furchtbaren Böen, die über Bord hereinbrachen, drohten die Segel zu zersetzen. Die Masten schwankten, Pardunen und Stagseile waren gespannt zum Zerreißen. Bei zwei Versuchen
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