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Die Gefährtin des Vaganten

Die Gefährtin des Vaganten

Titel: Die Gefährtin des Vaganten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Welt aus den Fugen heben wollten. Und nicht nur Ereignisse, nein auch Gefühle.
    Hagan, Bischof, Magister, Kämpfer, Marschall, Sohn einer hochwohlgeborenen Stiftsdame, Vater einer ungebärdigen Tochter – was für ein wildes Leben er geführt hatte. Sie ließ ihre Hand seine Züge entstehen. Er hatte ihr viel von der Wahrheit gesagt, aber nicht das, was ihn wirklich antrieb. Warum war er so heimatlos? So unruhig und … einsam?
    Er hatte von allem Mög­lichen gesprochen, nur über seinen Vater nicht.
    Hing es damit zusammen?
    Auch Piet hatte ihr über seine Herkunft berichtet, doch er hatte akzeptiert, was ihm widerfahren war.
    Hemma entstand unter ihren kundigen Fingern.
    Hemma, wie sie von der Vergangenheit erzählte, von ihrer Schwester, die habgierig und neidisch war. Sie hatte behauptet, ihr vergeben zu haben. Aber nie, mit keinem einzigen Wort hatte sie davon gesprochen, sie wiedersehen zu wollen. Erstmals seit sie die friedvolle Einsiedlerin kannte, bemerkte Laure auch in ihren Zügen eine unbarmherzige Härte.
    Hemma hatte ihrer Schwester vielleicht ihre Habgier, ihre üble Nachrede und ihre Demütigungen verziehen. Etwas anderes aber nicht. Niemals. Und auch das war etwas, worüber sie kein Wort verlor.
    Was fraßen die Menschen in sich hinein?
    Welche Schuld, welchen Kummer, welche Pein?
    Warum konnte man sie nicht davon erlösen?
    Erlösen – Fetzen vom Grabtuch Christi. Von Jesus, dem Erlöser.
    Erhofften die Menschen sich Erlösung von ihrer heim­lichen Schuld, ihren schmerzenden Gewissensbissen? Durch einen Stofffetzen?
    Verwirrt und beklommen wischte Laure die Feder an dem Läppchen ab und verschloss das Tintenfass. Es war Zeit, den Schlaf zu suchen.
    Sie fand ihn lange nicht.

25. Der Reiz der Schmerzen
    Es bedarf nichts als Geschwätz, um beim Volke Eindruck zu machen. Je weniger es begreift, desto mehr bewundert es.
    Gregor von Nazianz
    Der Herbstwind heulte um die dicken Mauern und rasselte an den Läden. In der Zugluft flackerten die Kerzen in dem prächtigen Gemach. Ein Feuer im Kamin verbreitete jedoch wohlige Wärme, sodass der Mann am Schreibpult in seinem Brokatgewand nicht zu frieren brauchte.
    Er schrieb konzentriert. Die Botschaft galt seinem Vertrauensmann in Konstanz, dem er mit dem Kurier eine große Summe Geldes schicken würde. Wie es zu verwenden war, das legte er mit präzisen Sätzen soeben fest.
    Johannes XXIII . war eingekerkert und abgesetzt, Gregor XII . hatte zwar noch versucht, im Juli das Konzil neu zu eröffnen, war dann aber auch zurückgetreten. Nur der greise Benedikt XIII . weigerte sich abzudanken und war über Avignon an die portugiesische Küste geflohen. Dort würde er keinen Schaden mehr anrichten. De facto war der Heilige Stuhl vakant, und wie es in solchen Fällen üblich war, übernahm der Camerlengo die Verantwortung bis zur Wahl eines neuen Papstes. Der Kämmerer war derzeit Kardinal François de Conzie. Er würde entscheidend an der neuen Besetzung des Amtes mitwirken.
    Seine Vorstellungen galt es zu eruieren. Und nach Möglichkeit in die passende Richtung zu lenken.
    Alles hatte seinen Preis.
    Welchen, das galt es vorrangig herauszufinden.
    Dazu erwies sich die Situation als mehr als zufrieden­stellend, befand der Schreiber. Seine Nachrichtenquellen waren brillant. Unauffällig und höchst effizient sorgten die von seinen Gewährsmännern ausgewählten Huren dafür, dass ihm beinahe täglich die neuesten Entwicklungen durch die schnellen Kuriere überbracht wurden.
    Er schrieb seine huldvolle Abschiedsfloskel unter seine Anweisungen und siegelte das Schreiben. Auf sein Läuten mit der Tischglocke erschien ein Diener, der es zusammenrollen und in einen Botenstab stecken würde. In der Frühe würde ein Reiter damit aufbrechen. In fünf, längstens sieben Tagen würde es sich samt dem Beutel mit Goldstücken in den richtigen Händen befinden.
    Auch die anderen Aktivitäten, die er in Köln in Bewegung gesetzt hatte, entwickelten sich zügig weiter. Durch geschickte Pfründevergabe hatte er sich der Loyalität einiger begnadeter Priester versichert: derjenigen, die wort­gewaltig seine Legenden über das Grabtuch Christi verbreiteten, derer, die aufmerksam den Beichten lauschten, und jener, die nach Erlösung strebten, die ihn der Mater Dolorosa zuführten. Sie erhielten bei ihr, was sie sich wünschten. Vorausgesetzt, sie zahlten dafür. Aber das taten gewisse Männer nur zu gerne.
    Das Geschäft lief schon fast zu gut, allmählich wurde der

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