Die geheime Braut
Schweigezeiten gewesen, die Unterhaltungen auf das beschränkten, was sich mit wenigen Handzeichen untereinander vermitteln ließ.
Die Wahrheit ihrer Herkunft hatte Äbtissin Ida ihr eines Tages in dürren Worten mitgeteilt: Sie war ein Findelkind, im Schutz der Nacht vor der Klosterpforte abgelegt, namenlos, verlassen von Vater und Mutter. Bei einigem Pech hätten umherstreifende Wölfe sie getötet, doch weil sie die kalte Herbst nacht eingehüllt in einer alten Pferdedecke überlebt hatte, galt sie in den Augen der Nonnen als etwas Besonderes.
Den Namen Binea hatte sie sich selbst aus der Bibel ausge sucht, als sie alt genug gewesen war, Hauptwörter zu erkennen. Und sie hatte sich nichts daraus gemacht, dass die anderen sie auslachten, weil der Name einem Mann gehörte.
Binea – »Sohn des Herrn«, so lautete die korrekte Übersetzung, das hatte ihr eine sprachenkundige Schwester gesagt.
Für Bini hatte es stets »Kind Gottes« bedeutet.
Viele der Nonnen waren überzeugt davon gewesen, sie verfüge trotz ihrer zarten Konstitution über seelische Kräfte für zwei.
Jetzt daran zu denken, schenkte ihr ein winziges Quäntchen Trost. Und plötzlich war da etwas in ihrem Kopf, nach dem sie schon die ganze Zeit hatte greifen wollen.
Am Geruch habe sie ihn wiedererkannt. Hatte Susanna nicht so etwas Ähnliches gesagt? Ihr Mund jedenfalls war voller Ekel verzogen gewesen, und die Worte hatte sie geradezu ausgespuckt.
Bini war ihrem Raben einige Male nah gewesen, ohne dass sie auch nur das Geringste an ihm gestört hätte. Ganz im Gegenteil, sie mochte den Geruch, den er verströmte, und hätte sich am liebsten enger an ihn gekuschelt, um noch mehr davon abzubekommen.
Sie wurde ruhiger, zog die Arme an den Körper, schließlich stand sie auf.
Sie würde ins Luther-Haus zurückkehren, aber nicht in die Kammer, die sie mit Susanna teilte. Sie musste eine Weile für sich sein, brauchte Ruhe und Zeit, um zur richtigen Entscheidung zu gelangen.
Hinten im Stall gab es eine Pferdebox mit frischem Stroh, die sollte für heute ihr Nachtlager sein. Dort, in der Stille und Einsamkeit, würde sie noch einmal versuchen zu beten.
VIERZEHN
V IERZEHN
D ie Glocken der Marienkirche läuteten, als der kleine Sarg aus dem Kirchenschiff hinaus auf den Friedhof getragen wurde. Luther folgte dem Pfarrer, das flächige Gesicht wie aus rötlichem Granit gemeißelt. Katharina, von Cranach und Barbara in die Mitte genommen, musste von den beiden immer wieder gestützt werden, sonst hätte sie diesen Weg kaum bewältigt. Ihnen folgten Hans und Luc, die beiden Cranach-Söhne, die nicht einen einzigen Blick miteinander wechselten, sondern zu Boden starrten.
Dahinter humpelte Muhme Lene an ihrem Stock, Hansi an der anderen Hand, der überraschend folgsam mittrottete.
Die halbe Stadt schien auf den Beinen, um Elisabeth zur letzten Ruhe zu betten. Auch die Professoren der Leucorea schritten dem Sarg hinterher, allen voran Melanchthon, der immer wieder besorgte Blicke auf den steifen Rücken seines alten Freundes warf.
Am Grab angekommen, wurde der Sarg hinabgelassen. Kaum war er aus dem Blickfeld verschwunden, drang aus Katharinas Brust ein so schmerzlicher Klagelaut, dass viele zu weinen begannen.
Pfarrer Bugenhagen, der zuvor den Trauergottesdienst in St. Marien abgehalten hatte, wandte sich an die Gemeinde:
»›Zu Dir gehöre ich, großer Gott. Du nimmst meine Hand, breitest die Arme aus und nimmst mich auf. Was auf der Erde war, ist nicht mehr wichtig: Du erfüllst mein Herz. Ich gehöre Dir für immer und ewig‹, so trösten uns die Worte des 73. Psalms.«
Er griff nach der bereitgestellten Schaufel.
»Gott, Du bringst Leben hervor und nimmst es wieder. Voller Vertrauen auf Deine Liebe nehmen wir Abschied von unserer jungen Schwester Elisabeth. Wir legen sie in Deine Erde: Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub. Wir tun dies in der Hoffnung, die uns in Jesu Christo gegeben ist …«
Dreimal hintereinander polterte ein Schwall Erdbrocken in das Grab.
»Ich hoffe, es bricht ihm nicht das Herz«, flüsterte Anatom Winsheim, und Moralphilosoph Block nickte zustimmend, während sie langsam nach vorn rückten, um ihr Mitgefühl auszudrücken, indem auch sie eine Schaufel Erde ins Grab war fen. »Niemals zuvor habe ich Luther so starr und voller Trauer gesehen.«
»Seine Frau ist noch verzweifelter«, sagte Block. »Ich habe die Lutherin bislang stets als tatkräftig und lebensfroh erlebt. Nun aber erscheint sie mir wie ein
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