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Die geheime Braut

Die geheime Braut

Titel: Die geheime Braut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Mit spitzen Fingern schob er den Strick zur Seite. In der Haut am Hals zeigte sich ein tiefer, länglicher Schnitt mit helleren Wundrändern.
    »Das könnte ein scharfes Messer gewesen sein«, stellte Winsheim fest. »Ja, genau so sieht es aus.«
    »Mit dem der Selbstmörder sich in den Hals gestochen hat, bevor er auf den Hocker stieg, um sich zu erhängen?«, fragte Cranach. »Mit einem Hocker übrigens, der viel zu weit entfernt stand, um die Tat ohne Hilfe zu vollenden?«
    Jedes Flüstern oder Kommentieren war verstummt.
    »Nein, dieser Schnitt wurde ihm zugefügt, vermutlich, um ihn gefügig zu machen«, fuhr Cranach fort. »Ich gehe davon aus, dass Relin das Geständnis unter Druck verfasst hat. Womöglich in der Hoffnung, entfliehen zu können. Doch sein Mörder hat sich anders besonnen oder von Anfang an niemals vorgehabt, Relin entkommen zu lassen. Der Apotheker ist getötet worden. Er wurde erhängt, um die Schuld auf ihn zu lenken.«
    »Ihr stellt wahrhaft waghalsige Behauptungen auf, Meister Cranach.« Hunzinger räusperte sich unbehaglich. »Für einen Mathematiker wie mich klingen sie haarsträubend.«
    »Ich muss mich dem Collega anschließen«, sagte Schöneberg. »Ein Schnitt, ein Schemel – was ist das schon gegen ein eigenhändig geschriebenes und unterzeichnetes Geständnis? Ihr habt einen Mörder gesucht, Meister Cranach. Ihr habt ihn gefunden. Wittenberg kann endlich aufatmen.«
    Pistor verzog den Mund.
    »Ihr habt den Toten aufgefunden?«, sagte er, an Jan gewandt.
    Der nickte.
    »Der Gestank hat uns zu ihm geführt. Ich bin vorausgegangen. Der Meister ist mir gefolgt.«
    »Dann wart Ihr also eine Weile mit dem Toten allein?« Pistors Stimme hatte plötzlich einen seltsamen Unterton.
    »Nur ein paar Augenblicke«, sagte Jan. »Worauf wollt Ihr hinaus?«
    Jetzt starrten ihn alle im Raum an, auch Cranach.
    »Nun vermutlich lange genug, um alles so zu arrangieren, wie es Euch am besten ins Zeug passt«, sagte Pistor kühl. »Zumindest hättet Ihr die Möglichkeit dazu gehabt.«
    »Versucht Ihr gerade, den Verdacht auf mich zu lenken?« Jan schüttelte ungläubig den Kopf. »Hört sofort damit auf! Ich habe nichts mit dem Mord an Relin zu schaffen, geschweige denn irgendetwas manipuliert. Einen größeren Unsinn habe ich selten vernommen!«
    »Ich versuche gar nichts«, erwiderte Pistor, »außer Meister Cranach tatkräftig bei seiner Suche zu unterstützen. Versuchen wir das nicht alle?« Zustimmung heischend wandte er sich um, doch außer Hunzinger wirkten alle wie erstarrt.
    Abermals öffnete sich die Tür, und eine junge Frau schoss herein, die hellen Haare aufgelöst, das Mieder verrutscht, die Wangen vom Laufen gerötet. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn.
    »Schnell!«, rief Susanna. »Da seid Ihr ja endlich! Im ganzen Gebäude bin ich schon vergebens umhergeeilt. Eure Frau schickt mich. Ihr müsst auf der Stelle nach Hause kommen, Professor Luther!«
    »Nach Hause? Unmöglich!«, protestierte Luther. »Siehst du denn nicht, was wir gerade zu tun haben?«
    »Aber Ihr müsst! Denn allein werden wir das niemals schaf fen.« Susannas Stimme drohte umzukippen. »Der geliehene Eber – er ist uns entwischt.«
    *
    Der Festsaal funkelte im Kerzenschein, als wären Hunderte von Sternen zusätzlich aufgegangen. Cranachs Werkstatt hatte die Illusion einer südlichen Waldlandschaft erschaffen, vor der die Jagdgesellschaft sich launig vergnügte. Alle hatten sich in kostbare Stoffe gehüllt, die wie antike Gewänder ihre Körper umschlangen. Alle trugen Masken aus Samt, so hatte der Kurprinz es verlangt, manche nur halbe, andere solche, die das ganze Gesicht bedeckten.
    Mit seiner Größe und Korpulenz stach er unter allen hervor, eine imponierende Erscheinung in blauer Seide, auf deren Saum goldene Mäander prangten. Auch seine Halbmaske war blau und verlieh seinen sonst leicht schwammigen Zügen eine ungewohnt kantige Note.
    »Ich bin Apoll«, begrüßte er jeden seiner Gäste mit breitem Lächeln. »Seid im Reich meiner holden Schwester aufs Herzlichste willkommen!«
    Damit gemeint war seine Gattin, die Artemis verkörperte. Dank weiblicher Finesse und geschickter Zofen war es der Kurprinzessin gelungen, blendend weiße Atlasseide so geschickt zu drapieren, dass man die fortschreitende Schwangerschaft nur ahnen konnte. Das Haar trug sie offen und gelockt. Ein Dia dem, auf dem eine glitzernde Mondsichel thronte, schmückte den Kopf. Ihre Maske bestand aus weißer Spitze, durch die die rosige Haut

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