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Die geheime Reise

Titel: Die geheime Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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war es bei ihr auch gewesen.
»Und ihr?« Der Junge wandte sich an Mischa. »Welches Bild hast du dir ausgesucht?«
»Den Musiker.« Mischas leise, raue Stimme schien zu beben, als er diese Worte aussprach.
Wanja sah Mischa an. Wieso sagte er, der  Musiker ?
»Du meinst, den Akrobaten. Oder hat Taro bei dir nicht auf dem Trapez gesessen?«
»Doch«, sagte Mischa.
»Warum nennst du ihn dann einen Musiker?«
Mischa gab keine Antwort, aber der schlaksige Junge schaute erstaunt von ihm zu Wanja. »Wart ihr … wart ihr etwa im gleichen Bild?«
»Im selben«, korrigierte Wanja ganz automatisch. Flora hatte ihr den Unterschied zwischen diesen beiden Adjektiven beigebracht.
Der Junge grinste. »Danke schön, Frau Lehrerin. Ich heiße übrigens Alex. Und ihr?«
»Wanja.«
»Mischa.«
»Aber wie kommt es«, fuhr Alex fort, während sie durch die Räume der Alten Meister schlenderten, »dass ihr im gleichen, ich meine, im selben Bild gelandet seid?«
Wanja zuckte die Schultern. »Hab ich mich zuerst auch gefragt. Als ich in den Raum trat, war keiner drin. Aber als ich im Bild war, saß Mischa plötzlich neben mir.«
»Komisch«, sagte Alex. »Aber irgendwie auch logisch. Bei so vielen von uns.«
Er ließ seinen Kaugummi knallen, das laute, harte Geräusch schoss durch die stillen Räume wie ein Schuss und Wanja musste an das grünhaarige Mädchen im großen Saal denken, deren grellgelber Kaugummi auf ihrem Gesicht zerplatzt war, als die alte Frau von dem Gong gesprochen hatte. Was hatte sie wohl damit gemeint, als sie sagte, ein Teil von ihnen bliebe für immer zurück, wenn die Kinder dem Gong nicht folgten?
»Den Akrobaten hab ich auch gesehen«, holten Alex’ Worte sie aus ihren Gedanken. »Der war echt okay, aber geregt hat sich in mir nichts.«
»So ging es mir bei allen anderen Bildern auch«, stimmte Wanja zu.
Sie schlenderten gerade an dem Fragonard-Gemälde des Philosophen vorbei, als hinter ihnen das Stimmengewirr zahlreicher Kinder ertönte. Die Kindergartengruppe, die sie vorhin in der Eingangshalle gesehen hatten, strömte in den Raum.
»Kuck mal, ein alter Opa.« – »Mir ist langweilig.« – »Ich hab Hunger.« – »Ich muss mal.« – »Männo, du Arschi, gib mir sofort meine Tasche zurück.« Die Stimmen schwirrten durcheinander und die Erzieherin zog ein Mädchen am Ärmel, das einem kleineren Jungen die Tasche aus der Hand gerissen hatte.
Alex sah ihnen grinsend zu. »Denen hätte es in unserem Museum bestimmt auch besser gefallen, was? Sagt mal, wie habt ihr eigentlich von der Ausstellung erfahren?«
»Im Radio«, sagte Wanja. »Da kam um Mitternacht die Stimme dieser Frau und am nächsten Tag war ein roter Rahmen in der Zeitung. Und du?« Sie drehte sich zu Mischa um, der ein Stück hinter ihnen ging.
»Genauso«, antwortete er.
»Bei mir war es auch so.« Alex schüttelte den Kopf, als sähe er alles wieder genau vor sich. »Ich hab gedacht, ich seh nicht richtig, als mir der rote Rahmen aus der Zeitung entgegenstrahlte. Unsere Putzfrau wollte sie gerade in den Papiermüll werfen. Und am Abend davor ging ganz plötzlich das Küchenradio an, als ich mir noch eine Cola holen wollte.«
Er blieb so abrupt stehen, dass Mischa fast in ihn hineingelaufen wäre. Sie standen jetzt vor dem Gemälde mit den Engeln.  Die Himmelfahrt Marias  stand auf dem Schild daneben.
»Ist euch eigentlich auch aufgefallen, dass auf den Bildern nur Männer waren?«
»Stimmt.« Wanja überlegte. »Das passt auch zum Namen. Vaterbilder. Trotzdem ein komischer Name, findet ihr nicht? Wieso Vaterbilder?«
Alex zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Vielleicht ebendeshalb, weil es nur Männer waren.«
»Männer ja«, Wanja spielte an ihrer Haarsträhne herum, »aber doch wohl keine Väter, oder?«
In Gedanken versunken, verließen sie die Abteilung, die jetzt von den Stimmen der Kindergartenkinder erfüllt war, und durchquerten den Flur bis zur Treppe.
Wanja kam plötzlich ein Gedanke. »Kennst du deinen Vater?«, fragte sie Mischa. Die Frage schien ihn zu überraschen, aber Wanja fiel noch etwas anderes auf: seine Augen, die plötzlich starr und dunkel wirkten.
»Ja«, sagte er und erst dann fiel Wanja wieder ein, was Britta damals auf dem Schulhof gesagt hatte. Dass Mischas Vater ein Säufer war. Mit einem unangenehmen Gefühl im Bauch wandte sie sich an Alex. »Und du?«
Alex verzog das Gesicht. »Klar kenn ich meinen Vater. Jeder kennt meinen Vater.«
»Wieso?«, fragte Wanja. »Ist der Popstar oder was?«
Alex lachte, aber

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