Die geheime Stunde
Fall …«
»Nur zu«, forderte sie ihn lächelnd auf, spürte immer noch das Prickeln im Nacken.
»Hallo?«, sagte John. Und dann: »Dad – was ist los?«
Kate erstarrte, sah, wie sich Johns Miene verzerrte.
»Alles in Ordnung mit Teddy? Ist er zu Hause? Gibst du ihn mir bitte …«
Aber Teddy konnte oder wollte nicht ans Telefon gehen. Kate beobachtete den Ausdruck in Johns Augen, als er seinem Vater noch eine weitere Minute zuhörte, dann legte er auf.
»Ich muss weg. Teddy braucht mich.«
»Natürlich. Ich verstehe. Fahr nur – ich gehe zu Fuß zum Gasthof zurück.«
»Ich möchte, dass du mitkommst, Kate. Bitte.«
»Natürlich.« Kate ergriff seine Hand, blickte ihm tief in die Augen. »Natürlich komme ich mit, John.«
Hand in Hand, die noch nicht ganz trockenen Hunde im Schlepptau, waren sie zu Johns Wagen an der Wendestelle zurückgeeilt. Als sie das Haus des Richters erreichten, war Teddy einer Panik nahe.
»Wo steckt sie nur!«, rief er immer wieder und rannte aufgescheucht durchs Haus. »Maggie sollte längst da sein, aber ich kann sie nirgends finden!«
»Teddy.« John packte seinen Sohn an den Schultern. »Langsam – erzähl mir, was los ist!«
»Lass mich, Dad!« Teddy versuchte sich loszureißen, doch plötzlich bemerkte er Kate. »Ich muss Maggie finden.« Er sah sie an.
»Natürlich«, erwiderte sie und spürte auf Anhieb Teddys Angst.
»Ist etwas passiert?«, fragte John.
Teddy stieß einen Schrei aus. Mit einem Ruck befreite er sich aus dem Griff seines Vaters und lief nach oben. John sah ihm mit großen Augen nach, erschrocken, verletzt. Maeve saß auf einem Sessel im Wohnzimmer, murmelte leise vor sich hin, einen Rosenkranz in der Hand. Der Richter, mit Krawatte und Jackett wie immer, schüttelte missbilligend den Kopf.
»Ich habe dich angerufen, weil ich mir keinen Rat mehr wusste; seit er nach Hause gekommen ist, benimmt er sich so merkwürdig.«
»Wo war er?«
»Beim Training. Maggie und er wollten … malen. Er sagte, sie hätte sich so darauf gefreut, hätte ihn mit Sicherheit nicht freiwillig versetzt. Er ist völlig aus dem Häuschen – was ich auch sagte, ich konnte ihn nicht beruhigen.«
Es bedurfte keiner weiteren Erklärung. John folgte Teddy nach oben, und Kate hörte, wie er versuchte, seinen Sohn zum Reden zu bringen. Seine Stimme war beschwichtigend, wenngleich bestimmt, aber er bekam nur ein herzzerreißendes Schluchzen zur Antwort. Der Kummer des Jungen ging ihr so zu Herzen, dass sie keinen Augenblick zögerte, ebenfalls hinaufzulaufen, wenn auch unaufgefordert.
»Nichts ist passiert, Dad!« Teddy war außer sich. »Aber genau das ist der Punkt – Maggie darf nichts passieren. Es ist schon genug passiert.«
»Ich weiß.«
»Du weißt
gar nichts«,
schrie Teddy. »Dauernd redest du über die Rechte, die jeder Mensch hat – aber nur über die Rechte deiner Straftäter. Die
gewalttätig
sind. Was ist mit den Rechten der Opfer? Der Mädchen in den Wellenbrechern, beispielsweise? Maggie ist nicht da, obwohl sie längst zu Hause sein sollte.«
»Was redest du, sie hat doch Hausarrest! Sie ist ein braves Mädchen, würde sich nie darüber hinwegsetzen.«
»Dann sag du mir doch, wo sie steckt, Dad!«
»Teddy«, sagte John errötend und trat einen Schritt näher.
Doch Teddy rannte davon, in einen Raum, der Maggies Zimmer sein musste. Ein gelbes Nachthemd lag säuberlich gefaltet auf dem Kopfkissen, ein blaues festliches Kleid mit weißen Spitzenmanschetten hing am Bettpfosten. Kate und John tauschten einen Blick, als Teddy begann, Maggies Schreibtisch und das Nachtschränkchen neben ihrem Bett zu durchwühlen.
»Sie ist doch von der Schule nach Hause gekommen, oder?« Ein Anflug von Panik schlich sich in Johns Stimme, als hätten Teddys Worte nun auch bei ihm Angst ausgelöst.
»Keine Ahnung!«, schrie Teddy über seine Schulter. »Sie war nicht da, als ich heimkam. Ihr Fahrrad steht nicht im Hof.«
»Sie war zu Hause«, sagte Kate leise, um Ruhe bemüht.
»Woher weißt du das?«, fragte John.
Kate deutete auf die Schreibtischschublade. Dort lag der gelbe Briefumschlag, den der Richter vor wenigen Stunden entgegengenommen und auf dem Tisch in der Diele deponiert hatte. An Maggie adressiert, war er inzwischen geöffnet worden. Aufgerissen von einem kleinen Mädchen, das es kaum erwarten konnte, ihre Post zu lesen.
»Ist der Brief von dir?«, fragte Teddy und zog ihn aus der Schublade.
Sie nickte. »Ja.«
»Er muss ihr viel bedeutet
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