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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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daß Miss Thorne nicht mehr mit Nicholas tanzte, sondern mit dem gutaussehenden Sänger über die Tanzfläche glitt. Lally überkam eine Woge der Erleichterung, als sie beobachtete, wie der Sänger seine Lippen auf Thomasines Mund drückte.
    Â»Das wär’s«, sagte Marcel und legte die Schere weg. »Sie sehen épatante aus, Mademoiselle Blythe.«
    Sie lächelte. »Würden Sie mich einen Moment entschuldigen, Monsieur de Seignelay?«
    Sie überquerte die Tanzfläche. Lally bemerkte, daß Thomasines grünes Kleid aus billigem Stoff war. Ihre bunten indischen Perlen gab es an jedem Marktstand zu einem Penny das Dutzend zu kaufen. Als sie noch einmal einen Blick auf das Paar warf, glaubte sie, daß Miss Thorne in den gutaussehenden Sänger verliebt war. Clive war sein Name, wie sie von jemandem gehört hatte.
    Nicholas tanzte mit Belle. Lally flüsterte ihm etwas ins Ohr, und er nickte und murmelte etwas. Er war ein bißchen betrunken.
    Genau wie sie. Als sie zu Marcel zurückging, wußte sie, daß sie das Ganze nicht durchgestanden hätte, wenn sie nicht ziemlich beschwipst gewesen wäre. Sie war vielleicht auf der Suche nach neuen Erfahrungen, aber sie fürchtete sich auch davor. Es war, als müßte sie sich beständig auf die Probe stellen und immer wieder einen Blick in den Abgrund riskieren.
    Â»Ich bin ein bißchen müde. Würden Sie mich nach Hause bringen, Monsieur de Seignelay?«
    Marcel legte ihr den Seidenschal um die Schultern. Als sie das Café verließen, sah Lally, daß auf den Dächern und Türmen von Paris ein rosiger Hauch lag.
    Â»Ins Hôtel de Crillon, nicht wahr, Mademoiselle?«
    Sie drehte sich zu ihm um und spürte die Leichtigkeit ihres kurzen Haars. »Eigentlich fände ich es besser, wenn ich mit Ihnen nach Hause ginge. Und würden Sie mich bitte Lally nennen?«
    Nicholas bemerkte kaum, daß Lally das Café verließ. Er konnte es immer noch nicht glauben, daß er nach der langen Trennungszeit Thomasine in Paris wiedergefunden hatte. Er fürchtete fast, sie könnte wieder verschwinden und sei nur eine angenehmere Erscheinung seines Einbildungswahns. Er beobachtete sie voller Verlangen und wartete, daß der salonlöwenhafte Schauspieler aufhörte, mit ihr zu tanzen. Er hatte nicht vor, sie noch einmal zu verlieren.
    Als der Tanz vorbei war, trat Nicholas an ihre Seite. »Es ist spät«, sagte er. »Ich würde Sie gern nach Hause begleiten.«
    Thomasine blickte verblüfft zu ihm auf. Er sah, wie bleich sie war, wie dunkel die Ringe um ihre Augen schimmerten. Aber sie war noch genauso schön, wie er sie in Erinnerung hatte. Das lohfarbene Haar, die meergrünen Augen, die makellose Haut. Obwohl der vergangene Krieg so vielen Schaden zugefügt hatte, schien sie die einzige zu sein, die unversehrt davongekommen war.
    Â»Ihre Schwester …?« fragte Thomasine.
    Â»Lally ist schon gegangen. Haben Sie genug?«
    Sie nickte. Sie durchquerte den Raum, nahm einen Seidenschal von einem Stuhl und legte ihn um die Schultern. Nicholas folgte ihr auf die Straße hinaus. Die Vögel in den Platanen sangen, und der Himmel war hell geworden.
    Â»Ich komme zu spät«, sagte sie und ging sehr schnell.
    Nicholas’ schlechte Laune war verflogen. In dem kleinen Café auf dem Montmartre waren die Bilder der Schlammfelder von Flandern nicht wieder in ihm aufgestiegen. Flüchtig kam ihm der Gedanke, daß Thomasine seine Alpträume abgewehrt hatte.
    Am Eingang eines Hauses blieb sie stehen und suchte in ihrer Tasche nach dem Schlüssel. Nicholas prägte sich die Hausnummer und den Straßennamen ein.
    Â»Ich darf Sie doch wiedersehen, Thomasine?«
    Sie erwiderte seinen Blick. Ihre Augen waren groß und dunkel. Er fand, daß sie krank aussah.
    Â»Natürlich, Nicholas.«
    Fast hätte er die Hand ausgestreckt und sie berührt, fast hätte er sie in die Arme genommen. Aber die Formen seines Standes und seiner Erziehung waren ihm zu sehr in Fleisch und Blut übergegangen, um Spontaneität zu zeigen. Die Blythes küßten und umarmten sich nicht, außer wenn es ihnen befohlen wurde. Außerdem hatte sie sich schon abgewandt.
    Â»Es war nett, Sie wiederzusehen, Nick. Gute Nacht.«
    Â»Bis bald«, antwortete Nicholas und blieb noch zehn Minuten reglos auf der Straße stehen, nachdem sie gegangen war.
    In der Pension ging

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