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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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sie und begann, ihre Knöpfe zu schließen. »Und ich?«
    Â»Die Hauptrolle natürlich, Liebling. In ein paar Tagen fahre ich nach Marseille. Ich seh wirklich keinen Sinn darin, dieses Elend bis zur bitteren Neige auszukosten. Du etwa?«
    Clive schüttelte den Kopf. Er sah zu, wie Clara ihre Tasche nahm und sich schnell durchs Haar kämmte. An der Tür küßte sie ihn leicht auf die Wange.
    Â»Gib mir morgen Bescheid, Clive. Wenn du nicht interessiert bist, muß ich jemand anderen finden.«
    Erst als Clara gegangen war, fiel ihm Thomasine wieder ein. Sie erschien ihm jetzt unwichtig, ein Ärgernis, eine vorübergehende Ablenkung vom Wichtigsten: seiner Zukunft. Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen. Er stellte sich vor, durch Europa zu reisen mit einer Frau und einem weinenden Baby im Schlepptau. Das war natürlich ganz unmöglich. Er konnte nicht heiraten – Clara würde ihn wie eine heiße Kartoffel fallen lassen.
    Er sagte sich, daß Thomasine ihn reingelegt hatte. Nie hatte er ihr falsche Versprechungen gemacht und immer betont, daß alles, was sie tue, allein ihre Entscheidung sei, und zwar einzig und allein. Und woher sollte er überhaupt wissen, daß das Kind von ihm war? Thomasine Thorne war nicht die erste hübsche Tänzerin, die ihn auszutricksen versuchte, damit er sie heiratete.
    Clive verspürte einen Anflug von Schuldgefühl, als ihm einfiel, daß Thomasine Jungfrau gewesen war. Aber das Schuldgefühl verstärkte seine schlechte Laune nur noch, und zum erstenmal stellte er fest, daß sie ihm nichts bedeutete.
    Am folgenden Morgen kaufte sie sich ein neues Kleid. Es war weiß, mit einer bestickten Borte um Hals und Saum. Die Ärmel waren kurz, die Taille tief, fast an den Hüften. Sie konnte ihre Tanzschuhe türkis färben, damit sie zu der Borte paßten, dachte Thomasine, und eines der Mädchen würde ihr sicher einen Hut leihen. Etwas Geborgtes, etwas Blaues. Sie fühlte sich ein wenig unwohl, weil sie sich ein weißes Hochzeitskleid gekauft hatte; sie wußte, daß sie dazu keine Berechtigung hatte.
    Am Nachmittag gingen sie und Alice ins Theater. Es war fast Ende Juli, der Himmel erstrahlte in tiefem Violett, und die Trottoirs dampften vor Hitze. Die Stadt wirkte schläfrig und verlassen. Alle Pariser machten sich auf den Weg ans Meer, nach Le Touquet oder Cannes.
    Als sie beim Theater ankamen, stand eine kleine Gruppe von Leuten davor. Ein Zettel war über die verschlossenen Türen geklebt. Wütende und verzweifelte Stimmen erklangen in der schwülen Nachmittagshitze. Poppy lief aus der Gruppe auf sie zu, breitete resigniert die Arme aus und sagte: »Es ist eine Woche früher geschlossen worden. Ich muß meine Schiffspassage umbuchen.«
    Â»Mist«, sagte Alice. Sie drängte sich zu den Türen durch.
    Thomasine sah ihr nach. Die Hitze machte sie lustlos und matt. Es war ihr egal, daß die Revue vorzeitig abgesetzt worden war. Sie fühlte sich ohnehin zu müde zum Tanzen. Außerdem würde sie Clive heiraten und sein Baby bekommen. Clive würde an einem anderen Theater Arbeit finden, und sie würde mit ihm gehen. Wenn das Baby geboren war, würde sie wieder arbeiten. Das Kind mußte ja nicht unbedingt das Ende ihrer Karriere bedeuten.
    Alice rüttelte sie am Arm. Sie sah wütend aus. »Clara Rose ist abgehauen. Deswegen wurde geschlossen. Sie hat bei der Theaterleitung eine Nachricht hinterlassen und sich einfach aus dem Staub gemacht. Sie weiß, daß sie nicht wegen Vertragsbruch verklagt wird, weil die Spielzeit ohnehin nur noch eine Woche gedauert hätte.«
    Alice hatte Thomasines Ellbogen ergriffen und führte sie von dem Gedränge auf dem Trottoir fort. Sie schien plötzlich nach Worten zu ringen, was ungewöhnlich für Alice war.
    Â»Sie konnten die Revue wahrscheinlich nicht ohne die Hauptdarstellerin weiterlaufen lassen.«
    Â»Und ohne den Hauptdarsteller«, fügte Alice bitter hinzu. Sie sah Thomasine ins Gesicht. »Clive ist fort, Liebes. Er ist heute morgen mit Clara abgereist. Ich fürchte, er hat sich aus dem Staub gemacht.«
    Sehr viel später sagte Alice zögernd: »Es gibt natürlich noch eine andere Möglichkeit.«
    Thomasine nahm sie kaum wahr. Sie konnte sich nicht erinnern, wie sie vom Theater zur Pension zurückgekommen war. Sie konnte sich an keines der Gespräche erinnern, die in der

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