Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë
hatte ich insgeheim gehofft, dass mein frischgebackener Ehemann, so sehr er auch bisher ein Gentleman gewesen war, sich ein wenig in einen Schwerenöter verwandeln würde, nachdem die Trauung vollzogen und wir endlich allein waren. In meiner Phantasie hatte ich mir ausgemalt, wie er mir, von Leidenschaft ergriffen, die Kleider auszog, nein, vom Leib riss. Oder dass er zumindest anwesend sein würde, um mir zu helfen, die Kleidungsstücke eines nach dem anderen abzulegen. Sicherlich hätte der leidenschaftliche Mr. Rochester – ein Mann, der so viel Erfahrung mit dem Aufhaken von Miedern und dem Aufschnüren von Korsetts hatte – seine Jane so ihrer Blüte beraubt.
Dies sollte aber offensichtlich – begriff ich mit einem Seufzer – nicht mein Schicksal sein. Arthur Bell Nicholls war ein viel zu höflicher und wohlanständiger Mann, um sich so weit hinreißen zu lassen, dass er mich – wie Ellen es formuliert hatte – überwältigte.
Ich schaute mich im Zimmer um, betrachtete es nun mit aller Aufmerksamkeit. Es war schlicht, aber sauber und geschmackvoll eingerichtet; ein bequem aussehendes Bettstand an der einen Wand, ein Kleiderschrank aus Mahagoni an der anderen. Außerdem gab es einen einzelnen Stuhl und zwei kleine Tische. Auf dem einen waren eine Waschschüssel und ein Krug, auf dem anderen eine Kerze und ein kleiner Spiegel. Die Vorhänge waren zugezogen. Im Kamin brannte ein Feuer und erhellte den Raum mit seinem Schein.
Von irgendwo draußen auf dem Flur hörte ich eine Uhr, die neun schlug. Ich zündete die Kerze an und begann dann, mich eilig auszuziehen, um nicht allzu leicht bekleidet dazustehen, wenn mein Ehemann zurückkehrte. Ich hängte mein Kleid in den Schrank, legte meine Unterwäsche in den Koffer, wusch mich schnell und schlüpfte in mein langärmliges weißes Baumwollnachthemd, das ich am Hals züchtig mit einer Bandschleife versehen und am Kragen und an den Manschetten mit ein wenig Spitze verziert hatte.
Kaum hatte ich die Schleife am Hals gebunden, als ich hörte, wie sich auf dem Flur Schritte näherten. Dann klopfte jemand leise an die Tür. Zitternd und mit pochendem Herzen öffnete ich.
Arthur schaute mich an, als er eintrat. Er wurde ein wenig rot, nickte zum Gruß und wandte die Augen ab. Rasch und schweigend legte er sein Jackett ab, leerte seine Taschen aus und deponierte ihren Inhalt auf dem Tisch. Dann setzte er sich auf das Bett, um sich die Schuhe auszuziehen. Oh!, dachte ich, und Verärgerung stieg in mir auf. War das alles, was ich zu erwarten hatte? Hatte dieser Mann keinen Funken Romantik im Leib? Ich war doch seine Frau! Ich stand vor ihm und war unter meinem dünnen Nachthemd völlig nackt! Und doch saß er auf der anderen Seite des Zimmers und band sich seelenruhig die Schnürsenkel auf! Sah er denn nicht, dass ich wartete, hoffte, mich nach seiner Berührung sehnte, nach einemKuss, einer Umarmung oder doch zumindest einem kleinen Wort der Zuneigung?
Das Schweigen war unerträglich. Ich musste es einfach brechen.
»Es ist … ein schönes Zimmer«, platzte es aus mir heraus. Kaum waren die Worte über meine Lippen, da merkte ich schon, wie mir die Röte in die Wangen schoss, und zuckte innerlich zusammen. Fiel mir wirklich nichts Besseres ein, als ausgerechnet jetzt über die Vorzüge und Nachteile unserer Unterkunft zu sprechen?
»Ja«, antwortete Arthur, während er sich die Socken auszog. »Ich habe eigens um eines der größeren gebeten. Ich wollte, dass du in einem schönen Zimmer übernachtest.«
»Es ist wirklich schön. Danke«, erwiderte ich und bemerkte mit erneuerter Verlegenheit, dass wir beide dieses Zimmer inzwischen dreimal innerhalb einer Minute »schön« genannt hatten.
Ich nahm verärgert meine Bürste zur Hand, setzte mich an den kleinen Tisch vor dem Spiegel und begann, mir die Haarnadeln aus der Frisur zu ziehen. Ich hatte ja von Anfang an gewusst, dass mein Mann keine poetische Ader hatte. Da war es, überlegte ich, wohl naiv, Romantik zu erwarten.
Als ich die letzte Haarnadel herausgelöst hatte und mein langes Haar mir wie ein Wasserfall schwer auf die Schultern fiel, hörte ich, wie sich Arthurs Schritte näherten. In dem kleinen Spiegel vor mir sah ich sein Abbild. Er stand nun unmittelbar hinter mir, mit nacktem Oberkörper, sodass sein kräftiger, männlicher Brustkasten sichtbar wurde, was mir ein plötzliches, unerwartetes Beben im Busen verursachte.
Als er sprach, war seine Stimme leiser und tiefer, als ich sie je gehört
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