Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)
täglich verkehrten. Diesmal kannte ich das Ambiente und die wichtigsten Spielregeln, vor allem aber kannte ich die Zahlen, die kurz vor Mitternacht über den Roulettetisch laufen würden. Meinen Freund hatte ich über die wichtigsten Dinge und Regeln im Voraus in Kenntnis gesetzt. Ich hatte ihm zehn Prozent des Gewinnes versprochen. Er war nach den Erfahrungen mit mir fast überzeugt, dass wir nach Mitternacht mit weit über fünfzigtausend Euro Gewinn das Casino verlassen würden, wie ich es ihm prophezeite, aber er wollte dennoch kein eigenes Geld setzen. Vielleicht hatte er kein gutes Gefühl. Die zehn Prozent Provision seien mehr als genug, meinte er.
Der gesamte Einsatz stammte aus meiner Brieftasche. Und damit auch alle möglichen Schulden. Wir hatten bis Mitternacht noch Zeit, tranken einige Gläser Weißwein an der Bar. Nach einer Stunde setzten sich zwei weitere Gäste an die Bar, ein junges Paar aus Osteuropa, soweit ich es verstehen konnte, sprachen sie serbisch. Ich hatte mit meinem Freund einige Minuten zuvor um ein Glas Wein gewettet, dass in wenigen Augenblicken ein Pärchen die Spielbank betreten würde und sich sofort an die Bar setzen würde. Natürlich gewann ich die Wette. Mein Freund schüttelte nur den Kopf, seine Verwunderung hielt sich nach so vielen Jahren des Kennens meiner Sanduhrgeschichte in Grenzen. Ich war eher verwundert, dass er überhaupt mit mir gewettet hatte. Er bestellte ohne Protest den Wein. Der Barkeeper war genauso freundlich und kommunikativ wie beim ersten Mal. Allerdings hatte ich keine Lust, die Geschichte des Casinos noch einmal zu hören, ich verhielt mich also zurückhaltender als beim Besuch, den ich mit meiner Frau an gleicher Stelle und zum gleichen Zeitpunkt gemacht hatte. Ich war weniger neugierig und wissensdurstig. Stattdessen achtete ich stärker auf die anderen Gäste, von denen ab 22.30 Uhr immer mehr ins Casino strömten. Mit voranschreitender Abendzeit stieg die Nervosität und innere Anspannung. Ich rief mir den Lärm und die Situation kurz vor Mitternacht ins Gedächtnis. Ich hatte mir noch einmal zwanzig Euro in Spielchips umgetauscht und meiner Frau versprochen, einen letzten Einsatz zu wagen und im Falle des Verlustes, den Heimweg anzutreten. Wir standen am Tisch Zwei, studierten die erleuchteten Ziffern an der Anzeigetafel, die Aufschluss über die Gewinnzahlen der letzten Spiele des jeweiligen Roulettetisches gaben.
Meine Frau meinte: „Setz doch unser Geld auf die 21, unseren Hochzeitstag.“ Ich hätte ihren Rat befolgt, wäre nicht gerade genau im vorhergehenden Spiel diese Zahl gefallen. Als die Kugel in der Ausbuchtung 21 zur Ruhe kam, ärgerte ich mich, auf irgendwelche Wahrscheinlichkeiten statt auf das Gefühl meiner Frau gesetzt zu haben. Zweimal hintereinander die 21. Das hatte sich eingeprägt. Zumal die nächste, das Fünfunddreißigfache des Einsatzes bringende Zahl, die 22 war. Diese Reihenfolge hatte mich verwundert und deshalb besonders stark ins Gedächtnis eingebrannt. Diese Erinnerung sollte nun den Ausgangspunkt für die erhebliche Aufbesserung meiner Finanzen bilden.
Ich hatte meinen Freund in die Zahlenfolge eingeweiht und die Möglichkeit der Einsätze. Jeder von uns konnte nur zweihundert Euro auf die entsprechende Zahl setzen, so war der Höchsteinsatz in dieser Spielbank festgelegt. Aber es gab darüber hinaus noch andere, wenngleich nicht so hohe Gewinnmöglichkeiten. Als das erste Mal kurz vor Mitternacht die 21 gefallen war, wusste ich, die nächsten beiden Spiele bildeten unsere große Chance. Wir hatten vorher, um zu üben und nicht allzu sehr als bloße Betrachter aufzufallen, hin und wieder mit gesetzt und einige Hundert Euro verloren.
Jetzt holte ich alle eingetauschten Chips hervor, setzte die zweihundert Euro auf die 21, und auf alle anderen sicheren Gewinne wie Rot, Ungerade, 3. Kolonne usw., insgesamt einige Tausend Euro. Mein Freund folgte meinem Schema und der Höhe der von mir getätigten Einsätze. Wir mussten uns beeilen, die Spielfrequenz war hoch, die Berufsspieler oder Geldwäscher setzten ihre Chips scheinbar, ohne lange zu überlegen. Kaum hatte ich den letzten Einhundert-Euro-Chip auf dem Spielfeld postiert, erklang schon das „Nichts geht mehr“ des Croupiers, sogar mit leicht sächsischem Akzent, was mich beim ersten Besuch überraschte, weil ich aus verschiedenen Filmen, deren Handlung auch in Casinos spielte, dass „Rien ne va plus“ im Ohr hatte. Berlin war eben nicht Las Vegas oder
Weitere Kostenlose Bücher