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Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Titel: Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Tenner
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war, glaubte ich, etwas für mein Vaterland tun zu müssen, ich wollte für Volk und Vaterland kämpfen und die Welt ändern, oder zumindest erobern. Als ich ernüchtert aufwachte, war schon alles zu Ende. Enttäuscht wandte ich mich meinem Beruf und der Karriere zu. Ich wollte Erfolg haben, daher gründete ich eine Firma und hatte auch großen Erfolg auf dem Gebiet der Baustoffversorgung, bis den DDR-Oberen dieser Erfolg nicht mehr gefiel, sie versuchten, mich zu einer Aufgabe oder zumindest Teilverstaatlichung zu bewegen, ich weigerte mich. Kurz darauf wurde ich verhaftet und zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, wegen Unterschlagung sozialistischen Eigentums. Ich hätte Baumaterialien veruntreut, die dem Wohnungsbau der DDR hätten zugutekommen sollen. Ich hatte nichts weiter gemacht, als meinen Angestellten pro Monat ein bestimmtes Kontingent an Baumaterialien einzuräumen und dies zu einem Preis, der etwas unter dem offiziellen, staatlich festgelegten lag. Ich wollte Diebstählen und Unterschlagungen, die ich vorher nicht verhindern konnte, dazu war die gesamte Versorgungslage zu schlecht, zuvorkommen. Was mir auch weitgehend gelang. Aber diese innerbetriebliche Maßnahme wurde nun gegen mich verwendet, das Urteil war, wie ich später erfahren habe, im Voraus zwischen Richter, Staatsanwalt und einem Offizier des Staatssicherheitsministeriums abgesprochen. Zwei Jahre habe ich absitzen müssen, dann wurde ich entlassen und man bot mir die Leitung meines inzwischen verstaatlichten Betriebes an. Ich verzichtete dankend und stürzte mich ins Privatleben, wollte nun meine Kraft und Zeit der Familie und den Freunden widmen. Ich meinte es wahrscheinlich zu gut, einer meiner Söhne fühlte sich offensichtlich in seiner Entwicklung eingeengt, suchte das Weite und wanderte nach der Wende aus. Ich erhielt ein, zwei Ansichtskarten im Jahr. Mein zweiter Sohn erkrankte an Leukämie und verstarb nach drei Jahren unzähliger medizinischer Behandlungen. Meiner Frau brach es das Herz, sie starb nur ein Jahr später. Ich war soweit, dass ich mich wie Herr Uwe Barschel in die Badewanne setzen und ohne fremde Hilfe meine Pulsadern öffnen wollte.“ „Was hat Sie davon abgehalten?“
    „Die Einsicht, dass ich die falsche Lebenseinstellung gehabt hatte.“
    „Was meinen Sie damit?“
    „Ich will es einmal etwas allgemeiner formulieren: In der Jugend glaubt man, man könne die gesamte Welt ändern, nennen Sie es die Phase des naiven Idealismus, einige Jahrzehnte später glaubt man immerhin noch, man könne sein Umfeld, Arbeit oder Familie und Freunde ändern, an der Schwelle zum Altwerden glaubt man zumindest noch ein wenig, man könne sich selbst ändern. Plötzlich stellt man fest, dass man gar nichts ändern kann, zumindest nicht allein oder nur aus eigener Kraft. Wenn man die erste Enttäuschung überwunden hat, merkt man, dass man nur die falsche Perspektive hatte. Man kann nun wirkliche Freiheit erlangen, weil man weiß, dass es einen gibt, der über einem steht. Wenn man dies nicht nur akzeptiert, sondern als beruhigend empfindet, bekommt das Leben einen völlig neuen Sinn.“
    „Sie meinen, Sie sind gläubig geworden?“
    „So kann man es ausdrücken. Bevor ich in die Wanne gestiegen bin, habe ich noch einmal eines meiner Lieblingsbücher vom Nachttisch genommen, eine Schrift von Blaise Pascal, dem großen französischen Denker des siebzehnten Jahrhunderts. Ich schlug das Buch spontan auf, die erste Zeile, die mir förmlich in die Augen sprang, lautete: Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, erzähl ihm deine Pläne. In diesem Augenblick musste ich lachen und mir fiel die Methode meiner Mutter ein, die immer, wenn sie in eine schwierige Lebenssituation kam oder eine Antwort auf eine Frage oder eine Lösung für ein Problem benötigte, zum Schrank ging, die große Bibel herausnahm und mit geschlossenen Augen daran blätterte, dann spontan mit ihrem Finger auf eine beliebige Textstelle zeigte und die Augen öffnete, um sich inspirieren zu lassen. Zugegeben, bei so viel Weisheit und weltanschaulicher Orientierung auf tausend Seiten, hätte sie schon einen sehr schlechten Tag oder eine weiße Seite erwischen müssen, um nicht einen klugen Hinweis auf das Zutuende zu erhalten. Aber es hat ihr immer geholfen und ich habe sie nie verzweifelt gesehen. Daran dachte ich in diesen Minuten. Ich beschloss, die gleiche Methode anzuwenden, ich nahm die lange nicht angeschaute und im obersten Regalfach schon leicht vor sich hinwelkende

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