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Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Titel: Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Tenner
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Bibel zur Hand und schlug, ohne zu überlegen oder hinzuschauen, das Buch auf und tippte mit meinem Finger auf eine Textzeile. Und nicht die Tatsache, dass ich etwas Kluges entdeckte, sondern etwas, das genau auf meine Situation passte, hat mich überzeugt oder zumindest zum Nachdenken und Weitermachen motiviert. Ich habe alles viel gelassener genommen, gewissermaßen ein Stück Fatalismus oder einfach Gottvertrauen entwickelt. Und ich habe dem Leben noch viel Schönes abgewinnen können. Mir ist klar geworden, dass der Suizid keine Lösung darstellt, nur Feigheit oder Kraftlosigkeit zum sinnlosen Ende bringt. Ausgenommen natürlich, er ist der letzte Ausweg, um unerträglichen Schmerzen zu entgehen. Sterben müssen wir ohnehin, darum sollte man sich nicht reißen. Solange man lebt, gibt es Hoffnung. Mein Schmerz ist nicht vollkommen verschwunden, aber ich habe gelernt, damit zu leben und manche Dinge in einem anderen Licht zu sehen. Und ich habe noch viel Interessantes erlebt und einiges an Erlebnissen, so hoffe ich, vor mir. Nächste Woche kommt mein Sohn aus Australien, ich werde das erste Mal meinen Enkel persönlich kennenlernen. Und im kommenden Jahr steige ich, so Gott und meine Gesundheit es zulassen, ins Flugzeug und werde mir den fünften Kontinent ansehen. Ich wurde eingeladen und eine Einladung sollte man nicht abschlagen.“ Er machte eine Pause, atmete tief durch und blinzelte in die Sonne. „Ich konnte oft in der Sonne sitzen und hin und wieder jemandem einen Ratschlag geben. Ich fürchte den Tod nicht, aber ich suche ihn auch nicht mehr.“
    Er hatte eine innere Spannung in mir erzeugt, ich war inzwischen in seinem Bann, er sprach mit einer ruhigen, fast hypnotisierenden Stimme. „Sie gehen oft in die Kirche und beten?“
    „Hin und wieder gehe ich in die Kirche, vor allem der Orgelmusik und der Atmosphäre wegen. Aber nicht unbedingt, um Gott zu treffen. Glauben Sie mir, Sie sind auf dieser Parkbank Gott genauso nah oder fern wie in einer Kapelle oder an einem x-beliebigen Ort dieser Welt. Er lässt sich nicht in ein Gebäude einsperren, sei es auch so groß wie der Berliner Dom, obwohl dieser sehr schön ist und als Symbol unersetzbar. Man sollte ein solches Bauwerk hüten wie seinen Augapfel. Nein, Gott ist überall und spricht mit einem, so wie ich jetzt mit Ihnen. Aber Sie können mich hören. Die meisten Menschen sind vor lauter Lärm fast ertaubt. Ihre Wahrnehmung ist äußerst eingeschränkt. Glaube hängt nämlich keineswegs allein vom Herzen ab, sondern auch von den Sinnesorganen. Dort, wo diese betäubt oder zerstört werden, durch eine Überflutung von Reizen, fehlt es an den Kanälen, die zum Herzen führen.“
    „Da kann ich Ihnen nicht widersprechen. Aber eine Frage liegt mir am Herzen, vielleicht haben Sie eine Antwort für mich.“ Der Alte schaute mich nur neugierig an, seine Augen schienen mich zu ermutigen. „Mir geht es wie Millionen anderer Menschen, die sich nicht erklären können, warum Gott die Welt so schlecht gebaut hat, warum alle Gesellschaften, alle Reiche so wenig von seiner Gnade, Güte, von seiner Vollkommenheit an sich haben. Ist er selbst nicht vollkommen? Ist er dann aber Gott?“ Der Alte konnte ein Schmunzeln nicht verbergen.
    „Mit dieser Frage habe ich mich seit Jahren beschäftigt. Ich bin kein Bibelexperte, aber seit meiner persönlichen Krise lese ich doch jeden Tag zumindest ein paar Zeilen im Buch der Bücher und finde so manche Antwort oder zumindest Anregung. Ich kann Ihnen nur meine Sicht auf dieses Problem mitteilen. Sie kennen vielleicht die Passage, in der Jesus vom Teufel in Versuchung geführt wird. In der dritten Versuchung bietet der Satan Jesus alle Reiche dieser Welt als Belohnung, wenn er niederknien und ihn anbeten würde. Alle Reiche dieser Welt! Jesus schüttelt nicht etwa den Kopf und lacht über dieses Angebot. Er könnte doch sagen: Wie kannst du mir etwas als Lohn anbieten, das meinem Vater gehört? Er zweifelt offensichtlich nicht die Tatsache an, dass dem Teufel die weltlichen Reiche gehören. Das könnte die Erklärung sein, warum die Welt nicht gut ist, zumindest nicht so gut, wie wir sie uns in unserer Fantasie wohl ausmalen können. Der Mensch hat offensichtlich das von Gott ihm übertragene Reich an den Teufel verloren, vielleicht an ihn verspielt. Auf alle Fälle hat das Böse die äußere, die weltliche Macht übernommen, das könnte eine plausible Antwort darauf sein, warum die Welt so voller Ungerechtigkeiten

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