Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)
ich dennoch nicht herum, vielleicht hatte ich sie mir schon am Vormittag beim Einkaufen im strömenden Regen zugezogen, als ich die Hände voller Einkaufstaschen hatte und deshalb den Schirm nicht aufspannen konnte. In der zweiten Novemberhälfte begannen mich starke Rücken- und Kopfschmerzen zu plagen, die sich mit jedem Tag verstärkten. Ich überlegte, ob ich einen Arzt aufsuchen sollte. Auch dies wäre eine Veränderung des Jahres gewesen, denn ich wusste, dass ich 2008 zwar beim Zahnarzt gewesen war, aber nicht ein einziges Mal bei einem Allgemeinmediziner.
Es würde auch in diesem Jahr keine ärztliche Untersuchung geben, denn ich sollte von meinen Schmerzen abgelenkt werden.
Zum einen durch die Arbeit, die ich intensivierte.
Zum anderen durch ein politisches Ereignis, das meinen Geisteszustand bis zum 24. Dezember nachhaltig beeinflussen, besser ausgedrückt, belasten sollte. Am 29. November schaltete ich vormittags den Fernseher an. Ich hatte viele Stunden ununterbrochen an einem neuen Theaterstück gearbeitet, dass sich mit den letzten drei Tagen Friedrich Nietzsches vor seinem geistigen Zusammenbruch beschäftigte. Ich war froh, das Stück in weniger als der halben Zeit fertiggestellt zu haben und ich hatte im Vergleich zur ersten Fassung, diesmal einige wichtige Änderungen vorgenommen. Mit einem Gefühl der Zufriedenheit schrieb ich „Ende“ unter die letzte Seite. Manchmal sind Wiederholungen durchaus hilfreich. Was ich aber dann zu sehen bekam, war keine Wiederholung für mich.
N-TV berichtete seit Tagen von dem terroristischen Anschlag in Bombay, der seit den Morgenstunden des 26. November Indien und einige Teile der Weltöffentlichkeit in Atem hielt. Die indischen Sicherheitsbehörden hatten endlich das letzte Hotel von den Terroristen befreit und verkündeten ihren Sieg. Es sei auch gelungen, einen der Attentäter namens Amir Kasar lebend festzunehmen, von ihm verspreche man sich, Angaben über die Drahtzieher und Hintergründe des Anschlages zu erfahren. Das Bild wurde groß eingeblendet. Es war schwarz-weiß und etwas verschwommen. Ich hielt den Atem an. Diesen jungen Mann hatte ich schon gesehen, jeder Zweifel war ausgeschlossen. Er war auf dem Foto, dass Will Smith nicht schnell genug vor meinem Blick verbergen konnte. Ich musste mich sammeln und in Ruhe nachdenken. Die Begegnung mit diesem mysteriösen Amerikaner, sofern es sich wirklich um einen Amerikaner handelte, hatte ich weitgehend verdrängt, mich einfach nicht mehr damit beschäftigt, weil ich nicht erkennen konnte, welchen Sinn dies haben könnte.
Ich war mir nicht im Klaren darüber, ob er ein Agent, ein Regierungsangestellter oder Beauftragter von mächtigen Privatpersonen oder Firmen war. Ich wusste eigentlich nur, dass er über die Macht verfügte, andere auszuspionieren und in den höchsten Kreisen verkehrte. Den Vorfall hatte ich auch nicht gemeldet. Was hätte ich der Polizei sagen sollen? Dass man mich entführt und nach wenigen Stunden mit zwei Flaschen teuren Rotweins wieder per Mercedes nach Hause chauffiert hatte? Nachdem ich das Bild des Attentäters gesehen hatte, begann ich eine Internetrecherche, ich wollte das Gebäude identifizieren, das ich zur Hälfte auf dem zweiten, meinem Blick für eine halbe Sekunde zugänglichen Foto gesehen hatte. Erst vermutete ich, es handele sich um eines der Hotels in Bombay, die von den Terroristen besetzt worden waren. Aber als ich die Nachrichten des Jahres weiter zurückverfolgte, stieß ich auf ein Bild des von Bomben am 20. September zerstörten Marriott Hotels in Islamabad. Ich klickte auf einen großen internationalen Reiseveranstalter und sah mir ein Foto dieses Hotels in dessen Reise-Prospekt an. Auch in diesem Fall konnte es keinen Zweifel geben, es war genau das Gebäude, dessen Abbildung ich im Mai 2008 am Boden der Stadtvilla in Lichterfelde zumindest als Ausschnitt gesehen hatte.
Die Frage war, ob Will Smith die Attentäter beobachtete oder verfolgte, selbst Jäger war, oder aber, ob er in irgendeiner Weise mit ihnen verflochten war, vielleicht sogar ein Mittäter oder Drahtzieher. Ich hatte immerhin eine Visitenkarte mit einer Telefonnummer, die erlaubte, Spuren und Antworten zu finden. An wen sollte ich mich wenden, an die Kriminalpolizei oder lieber gleich an den Bundesnachrichtendienst? Ich beschloss, zunächst einmal nach Lichterfelde zu fahren. Bei der Rückfahrt im Mai hatte ich mir den Weg gut eingeprägt. Ich suchte mir einen Parkplatz, der noch einige
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