Die Geier
fuhr
Russel fort und massierte sich sanft die Knöchel. »Und
zweifellos ist das die große Stärke des mächtigen Alex-
ander Sirchos: er versteht es, die richtigen Leute um
sich zu scharen. Auf sämtlichen Gebieten.«
Der Hausmeister sagte kein Wort. Russel schaute
zum Park hinüber.
»Haben Sie das ebenfalls gehört?«
»Es gibt eine Menge Vögel hier, Monsieur«, erklärte
Jimmy nach kurzem Schweigen. »Brauchen Sie mich
noch?«
Der Arzt lächelte leicht verkrampft.
»Nein, ich glaube nicht«, murmelte er. »Ich habe nicht
die Absicht, noch einmal in den Pool zu springen ...«
Der Hausmeister nickte und ging in Richtung Villa
davon. Wahrscheinlich würde er Sirchos über das Ver-
halten seiner Frau unterrichten. Und höchstwahr-
scheinlich würde es Russel sehr schwerfallen, eine the-
rapeutische Rechtfertigung für sein Abenteuer mit Pa-
mela zu finden ...
Mühsam erhob er sich, ließ sich in einen Liegestuhl
fallen und nahm sein Cocktailglas in beide Hände. Rat-
los drehte er das runde Gefäß eine Weile zwischen den
Fingern; er war außerstande, einen Weg zu finden, um
der Bestrafung zu entgehen, die der Milliardär zweifel-
los über ihn verhängen würde.
Mouss stand am Ende des Bahnsteigs, neben einer
Gruppe aufgeregter Jugendlicher in blauen Trainings-
anzügen, die wahrscheinlich von oder zu einer Sport-
veranstaltung unterwegs waren. Milan trat an einen
Automaten und nahm sich ein Päckchen Kaugummi.
Ohne den jungen Araber aus den Augen zu lassen, wik-
kelte er ein Stück aus dem Papier, das er in der Hand
zerknüllte und anschließend zu Boden warf.
Unauffällig betrachtete er die Werbeplakate und nä-
herte sich seiner Beute. Die Metro hatte Verspätung,
und der Bahnsteig füllte sich. Ein undefinierbarer Ge-
ruch, eine Mischung aus Wasserfarbe und Urin, lag un-
ter der Kuppel.
Leise fuhr die prallvolle Metro in die Stadt ein. Mit ei-
nem schrillen Pfeifton blieb sie stehen. Plötzlich be-
schleunigte Milan seine Schritte. Im Gedränge gelang es
ihm, sich genau hinter Mouss zu stellen, ganz dicht in
seinen Rücken. Diese gewollte Intimität entlockte dem
Sammler ein seltsames Lächeln. Das Opfer mußte den
Atem seines Jägers im Nacken spüren.
Die Metro setzte sich in Bewegung. Die stehenden
Passagiere schaukelten bedrohlich hin und her und er-
innerten an die Fan-Gruppen in englischen Fußballsta-
dien. Mit einem Blick über Mouss' Schulter vergewis-
serte sich der Geier der Abfolge der Stationen. Die
nächste Station war nicht von Bedeutung, doch die
übernächste war eine wichtige Anschlußstation und
würde für etliches Gedränge sorgen. Langsam glitt Mi-
lans Hand in seine Hosentasche und zog die Karte mit
äußerster Vorsicht hervor. Die unglaublich scharfe
Kante der Karte wurde von einer harten Lederhülle ge-
schützt. Irgendwo zu seiner Rechten schimpfte eine
weibliche Stimme über ein Kind.
Mit der freien Hand ließ Milan die Karte langsam her-
ausgleiten. Er wußte, wohin er zielen mußte, um den
sofortigen Tod seines Opfers herbeizuführen. Der Geier
beugte sich leicht nach hinten, um genügend Distanz
zwischen sich und Mouss zu schaffen. Das Gedränge
der übrigen Fahrgäste würde genügen, um den jungen
Araber umzubringen.
Ein plötzlicher Schwenk zur Seite durchkreuzte den
Plan des Geiers. Mouss wurde gegen die mittlere
Stange gedrückt und stand nun gut einen Meter weit
von ihm entfernt, während ein nach Mottenkugeln und
Schweiß stinkender dicker Fünfzigjähriger sich vor
Milan stellte. Der Geier hatte zweifellos zu lange gezö-
gert. Die wichtigste Station auf dieser Linie verband mit
vier Anschlußstationen und einem Bahnhof. Die Hälfte
der Fahrgäste stieg aus. Eine eindrucksvolle Men-
schenmenge strömte anderen Gängen, anderen Trep-
pen anderen Aufzügen zu.
Inmitten dieses unerbittlichen Andrangs hatte Milan
kaum Zeit, die Karte wieder in seine Tasche zu stecken.
Er mußte sich seiner Ellbogen bedienen, um sein Opfer,
das sich bereits in Richtung Bahnhof entfernte, nicht aus
den Augen zu verlieren. Ein Streitlustiger, Typ Ge-
schäftsmann mit Aktentasche, begann plötzlich zu mek-
kern und hielt Milan am Ärmel fest.
»He, Sie! Sie könnten sich zumindest entschuldigen!«
zischte der Idiot.
Mit einem kurzen kräftigen Kinnhaken schlug Milan
ihm drei Zähne ein und setzte seine Verfolgung fort.
Hinter ihm waren Schreie zu hören. Mouss stand be-
reits am oberen Ende der
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