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Die Geier

Die Geier

Titel: Die Geier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joel Houssin
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uringelbe Plastikplanen ersetzt worden, und auf
    der von verrosteten Stahlträgern gestützten Bühne
    konnten nur noch einige hartgesottene Gruppen auftre-
    ten, die vor einem ebenso kleinen wie verrückten Publi-
    kum ihre Show abzogen. Riesige Ratten tummelten sich
    zwischen den Beinen der Zuschauer, und nicht selten
    kam es vor, daß eine dieser schäbigen Bands die Bühne
    vorzeitig verlassen und sich vor den Wurfgeschossen
    der Apachen, die dort für Ordnung zu sorgen hatten, in
    Sicherheit bringen mußten. Allein die Bestandsauf-
    nahme dieser Wurfgeschosse hätte ein ganzes Lexikon
    der gemeinen Verbrechen füllen können. Das Pavillon
    war die oberste Spitze des Apachendreiecks.
    Mirko Milan sprang aus dem Studebaker und sah sich
    angeekelt um. Er erinnerte sich an die mörderischen
    Kämpfe, an den endlosen Krieg, den er führen mußte,
    um in diesem Bezirk die Vorherrschaft übernehmen zu
    können. Bismark, diese hochnäsige Sau, hatte seinen
    Rückzug zwangsläufig wie einen Sieg empfinden müs-
    sen. Aber da hatte er sich geirrt! Milan hatte ihm dieses
    Gebiet nicht aus Angst oder Überdruß überlassen. Er
    hatte sich zurückgezogen, weil dieses Reich zu begrenzt
    für ihn geworden war, weil es seiner Position nicht
    mehr entsprach.
    Mit dem Daumen hielt er sich ein Nasenloch zu und
    rotzte in eine ölig schimmernde Pfütze.
    »He, Schwanzlutscher! Suchst du jemanden?«
    Milan drehte sich zum Liliputaner um, der auf einem
    Dachbalken des Pavillon hockte. Nervös zupfte der Gnom an dem Efeu herum, das an der Fassade hoch-wuchs und von Ungeziefer zerfressen war.
    »Ich habe dich was gefragt, oder?« stieß der Gnom
    hervor.
    Milan schien überrascht.
    »Meinst du etwa mich?«
    Der Liliputaner hielt sich die Hand über die Augen
    und tat so, als würde er den Horizont absuchen.
    »Ich sehe weit und breit keinen anderen Schwanzlut-
    scher«, meinte er nach einer Weile.
    Milan lächelte. Er bückte sich, hob einen Stein vom
    Boden und schleuderte ihn mit aller Kraft in Richtung
    Liliputaner. Der Stein verfehlte dessen Kopf nur um
    wenige Zentimeter.
    »Bist du völlig verrückt geworden?« schrie der Lilipu-
    taner und versuchte, zum Fenster zu gelangen.
    Ein Viertel der Bruchsteinmauer stürzte genau vor
    ihm ein, der Gnom konnte nicht weiter. Er geriet in Pa-
    nik. Er rutschte auf dem Balken aus. Verzweifelt klam-
    merte er sich an eine blattlose Efeuliane.
    »Ich werde dich zerquetschen wie eine häßliche
    Spinne«, drohte Milan und ergriff einen Betonbrocken.
    »Dann erinnerst du dich auch wieder an den Schotter,
    mit dem du auf meinen kleinen Bruder geworfen hast!«
    »Zum Teufel mit deinem Bruder!« fluchte der Zwerg,
    dessen unförmiger Körper gefährlich über der Tiefe
    baumelte.
    »Mach dein Testament!« fluchte Milan mit dumpfer
    Stimme und holte weit aus.
    Da packte ihn eine Hand am Gelenk und zwang ihn
    durch eine brutale Drehung, sein Wurfgeschoß loszu-
    lassen.
    »Ein lustiges Spiel, nicht wahr?« grinste Bismark.
    »Aber ich bin leider gezwungen, es zu unterbrechen.«
    Er deutete auf den Liliputaner, der versuchte, sich in
    Sicherheit zu bringen, und dabei fürchterlich fluchte.
    »Ich brauche ihn noch. Wenn das eines Tages nicht
    mehr der Fall sein sollte, lasse ich's dich wissen. Dann
    werden wir einen flotten Ringkampf veranstalten, wie
    in der guten alten Zeit. Nicht wahr, Milan?«
    Er tätschelte ihm unsanft den Nacken.
    »Wie in der guten alten Zeit!« wiederholte er mit hy-
    sterischer Stimme. »Nicht wahr, Milan? Nicht wahr?«
    Dann wurde er plötzlich wieder ernst.
    »Du weißt doch, daß du nicht mit Steinen auf das
    Zwerglein werfen sollst!« murmelte er zynisch. »Du
    kennst ihn doch, er ist sehr nachtragend. Wenn er je-
    manden nicht riechen kann ...«
    »Behalt deine Sprüche für dich, Bismark!« unterbrach
    ihn Milan. »Wenn ich diesen Knirps noch mal dabei er-
    wische, daß er mit toten Ratten nach meinem Bruder
    Stefan schmeißt, wird er sich in den eigenen Schwanz
    beißen!«
    Einen Augenblick lang trübte sich Bismarks Blick.
    Haßerfüllt starrte er Milan an. Dann bekam er sich wie-
    der unter Kontrolle und klopfte Milan auf die Schulter.
    »Aber Milan! Du wirst unsere gute alte Freundschaft
    doch nicht durch solche Lappalien aufs Spiel setzen
    wollen, oder? Oder? Eine so feste, alte Freundschaft!«
    Milan schob Bismarks Arm zur Seite.
    »Willst du etwa nicht mehr mein Freund sein?« fragte
    der Bandenchef und schnitt eine Grimasse, die ihn wie
    ein Dinosaurier

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