Die Geier
uringelbe Plastikplanen ersetzt worden, und auf
der von verrosteten Stahlträgern gestützten Bühne
konnten nur noch einige hartgesottene Gruppen auftre-
ten, die vor einem ebenso kleinen wie verrückten Publi-
kum ihre Show abzogen. Riesige Ratten tummelten sich
zwischen den Beinen der Zuschauer, und nicht selten
kam es vor, daß eine dieser schäbigen Bands die Bühne
vorzeitig verlassen und sich vor den Wurfgeschossen
der Apachen, die dort für Ordnung zu sorgen hatten, in
Sicherheit bringen mußten. Allein die Bestandsauf-
nahme dieser Wurfgeschosse hätte ein ganzes Lexikon
der gemeinen Verbrechen füllen können. Das Pavillon
war die oberste Spitze des Apachendreiecks.
Mirko Milan sprang aus dem Studebaker und sah sich
angeekelt um. Er erinnerte sich an die mörderischen
Kämpfe, an den endlosen Krieg, den er führen mußte,
um in diesem Bezirk die Vorherrschaft übernehmen zu
können. Bismark, diese hochnäsige Sau, hatte seinen
Rückzug zwangsläufig wie einen Sieg empfinden müs-
sen. Aber da hatte er sich geirrt! Milan hatte ihm dieses
Gebiet nicht aus Angst oder Überdruß überlassen. Er
hatte sich zurückgezogen, weil dieses Reich zu begrenzt
für ihn geworden war, weil es seiner Position nicht
mehr entsprach.
Mit dem Daumen hielt er sich ein Nasenloch zu und
rotzte in eine ölig schimmernde Pfütze.
»He, Schwanzlutscher! Suchst du jemanden?«
Milan drehte sich zum Liliputaner um, der auf einem
Dachbalken des Pavillon hockte. Nervös zupfte der Gnom an dem Efeu herum, das an der Fassade hoch-wuchs und von Ungeziefer zerfressen war.
»Ich habe dich was gefragt, oder?« stieß der Gnom
hervor.
Milan schien überrascht.
»Meinst du etwa mich?«
Der Liliputaner hielt sich die Hand über die Augen
und tat so, als würde er den Horizont absuchen.
»Ich sehe weit und breit keinen anderen Schwanzlut-
scher«, meinte er nach einer Weile.
Milan lächelte. Er bückte sich, hob einen Stein vom
Boden und schleuderte ihn mit aller Kraft in Richtung
Liliputaner. Der Stein verfehlte dessen Kopf nur um
wenige Zentimeter.
»Bist du völlig verrückt geworden?« schrie der Lilipu-
taner und versuchte, zum Fenster zu gelangen.
Ein Viertel der Bruchsteinmauer stürzte genau vor
ihm ein, der Gnom konnte nicht weiter. Er geriet in Pa-
nik. Er rutschte auf dem Balken aus. Verzweifelt klam-
merte er sich an eine blattlose Efeuliane.
»Ich werde dich zerquetschen wie eine häßliche
Spinne«, drohte Milan und ergriff einen Betonbrocken.
»Dann erinnerst du dich auch wieder an den Schotter,
mit dem du auf meinen kleinen Bruder geworfen hast!«
»Zum Teufel mit deinem Bruder!« fluchte der Zwerg,
dessen unförmiger Körper gefährlich über der Tiefe
baumelte.
»Mach dein Testament!« fluchte Milan mit dumpfer
Stimme und holte weit aus.
Da packte ihn eine Hand am Gelenk und zwang ihn
durch eine brutale Drehung, sein Wurfgeschoß loszu-
lassen.
»Ein lustiges Spiel, nicht wahr?« grinste Bismark.
»Aber ich bin leider gezwungen, es zu unterbrechen.«
Er deutete auf den Liliputaner, der versuchte, sich in
Sicherheit zu bringen, und dabei fürchterlich fluchte.
»Ich brauche ihn noch. Wenn das eines Tages nicht
mehr der Fall sein sollte, lasse ich's dich wissen. Dann
werden wir einen flotten Ringkampf veranstalten, wie
in der guten alten Zeit. Nicht wahr, Milan?«
Er tätschelte ihm unsanft den Nacken.
»Wie in der guten alten Zeit!« wiederholte er mit hy-
sterischer Stimme. »Nicht wahr, Milan? Nicht wahr?«
Dann wurde er plötzlich wieder ernst.
»Du weißt doch, daß du nicht mit Steinen auf das
Zwerglein werfen sollst!« murmelte er zynisch. »Du
kennst ihn doch, er ist sehr nachtragend. Wenn er je-
manden nicht riechen kann ...«
»Behalt deine Sprüche für dich, Bismark!« unterbrach
ihn Milan. »Wenn ich diesen Knirps noch mal dabei er-
wische, daß er mit toten Ratten nach meinem Bruder
Stefan schmeißt, wird er sich in den eigenen Schwanz
beißen!«
Einen Augenblick lang trübte sich Bismarks Blick.
Haßerfüllt starrte er Milan an. Dann bekam er sich wie-
der unter Kontrolle und klopfte Milan auf die Schulter.
»Aber Milan! Du wirst unsere gute alte Freundschaft
doch nicht durch solche Lappalien aufs Spiel setzen
wollen, oder? Oder? Eine so feste, alte Freundschaft!«
Milan schob Bismarks Arm zur Seite.
»Willst du etwa nicht mehr mein Freund sein?« fragte
der Bandenchef und schnitt eine Grimasse, die ihn wie
ein Dinosaurier
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