Die Geier
Beinen operiert. Zorski rief bei seinem Kollegen zu
Hause an, wo er von dessen Frau erfuhr, daß sie nichts
von ihm gehört hatte und der Meinung war, er hielte
sich nach wie vor im Krankenhaus auf.
Mit besorgter Miene legte Zorski wieder auf. Ge-
wöhnlich war es nicht Simbas Art, spurlos zu ver-
schwinden und seine Patienten gewissermaßen auf dem
Operationstisch im Stich zu lassen. Ferner wußte Zors-
ki, daß sein Freund äußerst empfindlich auf Mißerfolge
reagierte, und so erkundigte er sich über die Eingriffe,
die Simba an diesem Tag, vor seinem Verschwinden,
vorgenommen hatte. Auf seiner Abteilung hatte es seit
vierzehn Tagen keinen Todesfall mehr gegeben, und
auch die Operationen an diesem Tag, unter anderem
eine besonders komplizierte Herzkranzarterien-Trans-
plantation, waren ohne die geringsten Schwierigkeiten
verlaufen. Der Assistenzarzt betonte sogar, daß diese
lange Serie von erfolgreichen Operationen eine Art
neuen Rekord auf diesem Gebiet darstellen würde.
Zorski wollte die Hoffnung bereits aufgeben, als
Simba sich endlich über Telefon meldete. Wütend
rannte Zorski den Flur hinunter zum Wandtelefon.
»Wo bist du, Idiot?« brüllte der Chirurg. »Ich suche
dich überall!«
»Ich warte in der Blue Bar auf dich«, stammelte Simba mit seltsam dumpfer Stimme. »Hier gibt's phantasti-schen Rum!«
Einen Moment lang war Zorski wie vor den Kopf ge-
stoßen. Simba schien stockbesoffen zu sein.
»Glaubst du wirklich, jetzt sei der richtige Moment,
um sich vollaufen zu lassen?« schrie Zorski.
Einige Krankenschwestern kamen aus dem Auf-
sichtsraum und schauten ihn erstaunt an.
»Es wird niemals einen besseren Moment geben als
gerade heute«, erwiderte Simba am anderen Ende der
Leitung. »Komm her, sag ich dir.«
Brutal hängte Zorski ein. Der Telefonhalter löste sich
von der Wand und krachte auf die Fliesen. Wie aufge-
scheuchte Hühner liefen die Krankenschwestern in ihr
Büro zurück.
»Ich werde diesem Idioten einen Schimpansenkopf
auf die Schultern pflanzen!« tobte Zorski und rannte die
Treppe hinunter.
Zwölftes Kapitel
Armyan Simba lehnte an der Bar. Er saß auf einem die-
ser unendlich hohen, mit blauem Leder bezogenen
Hockern. Nachdenklich starrte er auf die Zuckerverzie-
rungen an seinem Glas, das mit weißem Rum gefüllt
war. Er war noch nicht wirklich betrunken, aber von
den vier Gläsern Alkohol, die er bereits gekippt hatte,
war er doch ziemlich träge geworden. Allmählich stieg
leise Euphorie in ihm auf und entspannte seinen vor
Wut völlig verkrampften Körper. In einer Ecke klim-
perte ein riesiger schwitzender Neger auf einem wun-
derschönen blaulackierten Yamaha-Flügel Jazzmelodi-
en. In dieser vornehmen Bar war alles in Blau gehalten.
Deswegen war Simba hierher gekommen, dieser er-
staunlichen Farbe wegen, die auch dem weißen Rum
einen besonderen Geschmack gab. Ferner hatte ein letz-
ter Funken Würde ihn dazu getrieben, sich in einer we-
nig besuchten Bar vollaufen zu lassen.
Die Blue Bar war in der Tat eines dieser Lokale, wo man sein Elend und seine Einsamkeit mit einem Rest
Würde wegspülen konnte, wo die Anhänger der Selbst-
zerstörung sich in aller Ruhe ihrem Hang zum Selbst-
mord hingeben konnten. Angesichts der hohen Preise
der Getränke mußte man allerdings schon außerge-
wöhnlich reich sein, um in dieser Bar zum Alkoholiker
zu werden.
Simba begann, sich ausgesprochen wohl zu fühlen.
Zwei Hocker weiter saß eine junge Frau in einem un-
glaublichen Kleid, die ihn seit gut einer Viertelsrunde
nicht mehr aus den Augen ließ. Eine dieser überkandi-
delten Blondinen, die sich eine Haarsträhne merklich
heller färben lassen und darunter das halbe Gesicht
verbergen. Sie war weder hübsch noch besonders an-
ziehend, und auch die ausgefallenen Klamotten, die sie
trug, ließen sie keineswegs vorteilhafter erscheinen.
Man mußte kein besonders kluger Psychologe sein, um
herauszufinden, daß dieses Mädchen aus irgendeinem
gottverlassenen Kaff kam und man ihr die Blue Bar emp-fohlen hatte, weil dort müßige, aber reiche alte Männer
zu verkehren pflegten.
Sie hatte ihr Glück bereits bei einem Sechzigjährigen
versucht, der an einem Tisch in der Nähe des Klaviers
saß und sich damit begnügt hatte, hintereinander sechs
Gläser Jerez hinunterzukippen und sich die Augen nach
ihr auszugucken. Das Mädchen konnte noch so sehr die
Brust wölben, ihre unglaubliche rosafarbene Boa über
die
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