Die Geisel
schüttelte den Kopf. »Nein, er wohnt dort«, antwortete sie. »Aufgang 8b, erster Stock, Wohnung 9.« Aus dem Augenwinkel heraus sah sie, wie sich Tom Schæfer die Adresse notierte.
»Und du bist wirklich ganz sicher, dass er es war?«, fragte Katrine.
»Ja, er war nicht mal fünf Meter von mir entfernt, als er vorbeiging.«
»Hat er dich gesehen?«
»Nein, ich saß im Auto und habe mich versteckt.« Ein älterer Beamter erschien in der Türöffnung. »Katrine, der Polizeidirektor hat gleich eine Besprechung, wir sollten jetzt …«
»Noch zwei Minuten«, sagte sie ohne sich umzudrehen.
Der Beamte nickte kurz, und Tom schloss die Tür hinter ihm.
»Woher wusstest du, dass er dort wohnt?«
Maja schoss die Röte ins Gesicht. »Ich, äh …« Sie hob ihre Tasche vom Boden auf und zog die Patientenakte von Søren Rohde heraus. Sie gab Katrine die Akte und erzählte in Kürze, wie sie auf Søren Rohde gestoßen war, der im Keller von Lasses Elternhaus gewohnt hatte. Claus’ Unterstützung bei der Sache erwähnte sie nicht.
Katrine hob den Blick von der Akte und sah Maja skeptisch an. »Dass er mit dem Toten unter einem Dach gewohnt hat, macht ihn nicht automatisch zum Mörder.«
»Natürlich nicht, aber das ist doch auffallend. Genauso auffallend wie die Tatsache, dass er ein Gedicht zitiert hat, das aus Peter Pan stammt.« Sie nickte in Richtung der Akte.
Katrine überflog die letzten Seiten. Dann schloss sie die Akte wieder. »Und du bist ganz sicher, dass er es war, der dich überfallen hat?«
»Ja, hundertprozentig.« Es machte sie wütend, dass Katrine kein größeres Vertrauen in ihre Urteilskraft hatte.
»Schau mal im System nach«, sagte Katrine und hielt die Akte nach hinten. Tom löste sich von der Wand, nahm die Unterlagen entgegen und setzte sich an den Computer. Die Personenkennnummer stand auf der ersten Seite unter Rohdes Namen. Mit zwei Fingern gab er die Nummer ein. »Da haben wir ihn«, sagte er und nickte. »Ein paar Einträge gibt es schon.«
Maja schaute ihn aufmerksam an, während er vorlas. »Ein paar Ladendiebstähle, elf Bußgeldbescheide wegen Falschparkens, eine nicht bezahlte Kraftfahrzeugsteuer. Der ist kurz davor, dass sie ihm die Nummernschilder abschrauben«, sagte Tom und lächelte Katrine an. Sie verzog keine Miene, und er wandte sich wieder dem Bildschirm zu. »Dann haben wir da einen Fall wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses und die Misshandlung von Tieren in einem Park.«
»Die Schwäne«, sagte Maja. »Das steht alles auch in seiner Patientenakte.«
Tom scrollte nach unten. »Und schließlich haben wir hier noch eine Zeugenvernehmung in Zusammenhang mit einem tödlichen Zugunglück.«
Katerine stand auf und ging zu ihrem Kollegen. Sie massierte sich den Nacken, während sie den Bildschirm musterte. Sie räusperte sich. »Nimm Faurholt mit, wenn du ihn holst.«
»Okay. Aber wir sollten auch einen Schraubenzieher mitnehmen, um endlich die Kennzeichen abzumontieren.«
Katrine gab Maja ihre Unterlagen zurück. Doch als sie diese entgegennehmen wollte, ließ Katrine nicht los. »Du bist dir doch wohl im Klaren darüber, dass sie dich fragen werden, woher du all diese Informationen hast, wenn das nicht unser Mann ist.«
»Das ist unser Mann!«, entgegnete Maja und riss die Akte an sich.
Die Dämmerung tauchte alles in ein blaues Licht. Maja wusch rasch die Teller vom Abendessen ab. Als sie nach dem letzten Teller griff, fiel versehentlich ein Glas zu Boden. Sie wollte sich gerade bücken, als Stig in die Küche kam. »Lass mich das machen«, sagte er und sammelte die Glasscherben auf.
»Danke«, sagte sie rasch und fuhr mit dem Abwasch fort.
»Ist irgendwas? Du bist schon den ganzen Abend so angespannt.«
»Nein«, antwortete sie. »Ich bin nur ein bisschen müde.«
In Wahrheit wurde sie die Gedanken an Søren Rohde nicht los, seit sie das Polizeirevier verlassen hatte. In den Nachrichten hatten sie nichts von seiner Festnahme gesagt, und Katrine hatte sich auch nicht mehr gemeldet. Nicht dass sie das erwartet hätte. Sie hoffte nur, dass die Festnahme ohne Probleme vonstatten gegangen war. Es irritierte sie, dass Katrine nicht selbst zu ihm fahren wollte. Tom schien doch noch ziemlich unerfahren zu sein. Andererseits gab es keinen Grund anzunehmen, dass irgendetwas schiefgehen sollte. Schließlich hatte sie ihnen Søren Rohde auf dem Silbertablett serviert.
Stig wickelte die Scherben in ein Stück Zeitungspapier und legte es auf den Tisch. Er stellte
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