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Die Geisha - Memoirs of a Geisha

Titel: Die Geisha - Memoirs of a Geisha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Golden
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trug sie sogar beim Schlafen um den Hals. Obendrein wurde mir die Aufgabe, an den Abenden an der Tür zu sitzen, abgenommen und Kürbisköpfchen übertragen, die Tantchen jedesmal wecken mußte, wenn Hatsumomo nach Hause kam.
    So lag ich jede Nacht auf meinem Futon und dachte nach, doch auch am Montag, dem Tag vor unserer geplanten Flucht, hatte ich noch keine Lösung gefunden. Ich war so verzweifelt, daß ich keine Kraft mehr für meine Pflichten hatte, und die Dienerinnen schalten mich, weil ich mit dem Staubtuch einfach über das Holzwerk wischte, das ich doch polieren sollte, und einen Besen durch den Hofkorridor zog, den ich eigentlich fegen sollte. Am Montagnachmittag verbrachte ich viel Zeit im Innenhof und tat, als jäte ich das Unkraut, während ich in Wirklichkeit nur auf den Steinen kauerte und vor mich hin brütete. Dann trug mir eine der Dienerinnen auf, den Holzboden im Dienstbotenzimmer aufzuwischen, wo Yoko am Telefon saß, und da geschah etwas Ungewöhnliches. Ich wrang einen Putzlappen auf dem Boden aus, doch statt sich den Weg zur Tür zu suchen, wie ich es erwartet hatte, floß das Wasser in eine der hinteren Zimmerecken.
    »Na, so was, Yoko!« sagte ich. »Das Wasser läuft bergauf!«
    Natürlich lief es nicht wirklich bergauf. Es wirkte nur so auf mich. Von diesem Phänomen war ich so überwältigt, daß ich immer wieder Wasser aus dem Lappen wrang und zusah, wie es in die Ecke floß. Und dann… Nun ja, wie es geschah, kann ich wirklich nicht genau sagen, aber plötzlich sah ich mich die Treppe in den ersten Stock steigen, von da aus die Leiter hinauf, durch die Falltür und auf das Dach neben den Wassertank.
    Das Dach! Ich war so verblüfft bei dieser Vorstellung, daß ich meine Umgebung völlig vergaß, und als das Telefon neben Yoko schrillte, hätte ich vor Schreck fast aufgeschrien. Ich war nicht sicher, was ich tun sollte, wenn ich auf dem Dach angelangt war, aber wenn ich von dort aus einen Weg auf den Boden hinunter fand, konnte ich mich vielleicht doch noch mit Satsu treffen.
    Als ich am folgenden Abend zu Bett ging, begann ich demonstrativ zu gähnen und ließ mich wie ein Sack Reis auf meinen Futon fallen. Jeder, der mich sah, wäre überzeugt gewesen, daß ich sofort einschlafen würde, in Wirklichkeit aber war ich hellwach. Ich blieb eine Weile liegen, dachte an mein Zuhause und fragte mich, was für ein Gesicht mein Vater wohl machen würde, wenn er vom Tisch aufblickte und mich an der Tür stehen sah. Vermutlich würden die Säcke unter seinen Augen noch tiefer herabhängen, und er würde in Tränen ausbrechen, oder aber sein Mund würde jene seltsame Form annehmen, die bei ihm Lächeln bedeutete. Meine Mutter wagte ich mir nicht so lebhaft vorzustellen, denn schon der Gedanke an sie trieb mir die Tränen in die Augen.
    Endlich legten sich die Dienerinnen auf ihren Futons neben mir zur Ruhe, während Kürbisköpfchen ihre Wartestellung für Hatsumomo bezog. Ich hörte, wie Großmama Sutren aufsagte, was sie jeden Abend vor dem Schlafengehen tat. Dann beobachtete ich durch die einen Spaltbreit geöffnete Tür, wie sie ihr Nachthemd anzog. Als ich sah, wie sie das Tagesgewand von den Schultern streifte, war ich entsetzt, denn ich hatte sie noch nie ganz nackt gesehen. Es war nicht nur die Hühnerhaut an ihrem Hals und ihren Schultern – nein, ihr ganzer Körper erinnerte mich an einen Haufen zerknitterter Wäsche. Sie wirkte seltsam mitleiderregend auf mich, wie sie sich da abmühte, das Schlafgewand zu entfalten, das sie vom Tisch genommen hatte. Alles an ihr hing herab, selbst die langen Brustwarzen. Je länger ich sie betrachtete, desto stärker hatte ich das Gefühl, daß sie sich in ihrer verschwommenen Altenart genauso mit Erinnerungen an ihre Eltern herumschlug, wie ich es eben getan hatte. Wahrscheinlich hatten ihre Eltern sie als kleines Mädchen ebenfalls in die Sklaverei verkauft. Vielleicht hatte auch sie eine Schwester verloren. Noch nie hatte ich Großmama aus diesem Blickwinkel betrachtet. Unwillkürlich fragte ich mich, ob für sie das Leben vielleicht ganz ähnlich begonnen hatte wie für mich. Die Tatsache, daß sie eine gemeine Alte, ich dagegen nichts als ein kleines Mädchen war, das sich mühsam durchs Leben schlug, spielte dabei keine Rolle. Konnte es nicht jedem passieren, daß ihn eine falsche Wendung, die das Leben nahm, hart und gemein machte? Ich erinnerte mich noch genau an jenen Tag in Yoroido, da ein Junge mich am Teich in einen Dornbusch stieß. Als

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