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Die Geisha - Memoirs of a Geisha

Titel: Die Geisha - Memoirs of a Geisha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Golden
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Aufgabe bestand in dieser geschäftigen Zeit darin, die Besucher ins Empfangszimmer zu führen, wo sie von Mutter und Tantchen erwartet wurden. Die Entfernung betrug nur wenige Schritte, aber man durfte die Besucher auf gar keinen Fall allein hineingehen lassen. Außerdem mußte ich mir merken, welche Schuhe zu welchen Gesichtern gehörten, denn es war meine Aufgabe, die Schuhe ins Dienstbotenzimmer hinüberzutragen, damit der Eingang nicht zu vollgestopft war, und sie im richtigen Moment wieder zu holen. Da ich den Besucherinnen nicht gut ins Gesicht starren konnte, ohne unhöflich zu sein, blieb mir nichts anderes übrig, als mir statt dessen die Kimonos einzuprägen, die die Damen trugen.
    Als etwa am zweiten oder dritten Nachmittag die Tür aufgeschoben wurde, kam ein Kimono herein, der wohl der schönste war, den ich bisher an unseren Besucherinnen gesehen hatte. Aufgrund der besonderen Gelegenheit war er gedeckt gehalten – ein schlichtes schwarzes Gewand mit Wappen –, aber das grün-goldene Grasmuster am Saum war so prächtig, daß ich mir vorstellte, wie überwältigt die Frauen und Töchter der Fischer zu Hause in Yoroido wohl wären, wenn sie so etwas auch nur zu sehen bekämen. Die Besucherin hatte eine Dienerin mitgebracht, woraus ich schloß, daß sie vielleicht die Herrin eines Teehauses oder einer Okiya war, denn nur sehr wenige Geishas konnten sich diesen Luxus leisten. Während sie den winzigen Altar in unserem Eingang betrachtete, nutzte ich die Gelegenheit, um einen Blick auf ihr Gesicht zu werfen. Es war ein so perfektes Oval, daß ich sofort an eine gewisse Bildrolle in Tantchens Zimmer dachte, die Tuschezeichnung einer Kurtisane aus der Heian-Zeit vor über tausend Jahren. Sie war keine so auffallende Schönheit wie Hatsumomo, doch ihre Züge waren so vollkommen geformt, daß ich mir noch unbedeutender vorkam als sonst. Und dann wurde mir plötzlich klar, wer sie war.
    Mameha, die Geisha, deren Kimono ich auf Hatsumomos Befehl verschandeln mußte!
    Was mit dem Kimono geschehen war, war zwar nicht meine Schuld gewesen, dennoch hätte ich das Gewand, das ich trug, hingegeben, wenn ich ihr dafür nicht hätte begegnen müssen. Als ich sie und ihre Dienerin ins Empfangszimmer führte, senkte ich den Kopf so tief, daß mein Gesicht verborgen blieb. Ich dachte nicht, daß sie mich erkennen würde, denn ich war sicher, daß sie an jenem Abend mein Gesicht nicht gesehen hatte, und selbst wenn, so waren inzwischen zwei Jahre vergangen. Die Dienerin, die sie begleitete, war nicht dieselbe junge Frau, die mir an jenem Abend den Kimono abgenommen hatte und deren Augen sich mit Tränen gefüllt hatten. Dennoch war ich erleichtert, als ich mich verneigen und sie im Empfangszimmer allein lassen konnte.
    Als Mameha und ihre Dienerin zwanzig Minuten später aufbrechen wollten, holte ich ihre Schuhe und stellte sie im Eingang auf die Stufe, hielt aber immer noch nervös den Kopf gesenkt. Als das Mädchen die Tür aufschob, hatte ich das Gefühl, daß meine Feuerprobe vorüber war, doch statt hinauszugehen, blieb Mameha einfach stehen. Ich wurde unruhig, und ich fürchtete, daß meine Augen es versäumten, Rücksprache mit meinem Verstand zu halten, denn obwohl ich wußte, daß ich das nicht durfte, wanderte mein Blick zu ihr empor. Entsetzt mußte ich feststellen, daß Mameha zu mir heruntersah.
    »Wie heißt du, Kleine?« fragte sie mich in einem Ton, den ich für ziemlich streng hielt.
    Mein Name sei Chiyo, gab ich zurück.
    »Steh einen Augenblick auf, Chiyo. Ich möchte dich ansehen.«
    Gehorsam kam ich auf die Füße, doch wenn es möglich gewesen wäre, mein Gesicht schrumpfen und ganz verschwinden zu lassen, als schlürfe man eine Nudel ein, hätte ich das sofort getan.
    »Nun komm schon, laß dich ansehen!« sagte sie. »Du tust ja, als wolltest du die Zehen an deinen Füßen zählen!«
    Ich hob den Kopf, nicht aber den Blick. Mameha stieß einen langen Seufzer aus und befahl mir, sie anzusehen.
    »Welch außergewöhnliche Augen!« sagte sie. »Ich dachte, ich hätte es mir nur eingebildet. Wie würdest du diese Farbe bezeichnen, Tatsumo?«
    Das Mädchen kam in die Eingangshalle zurück und musterte mich. »Grau, Herrin«, antwortete sie.
    »Genau, was ich gesagt hätte. Also, wie viele Mädchen in Gion haben deiner Meinung nach solche Augen?«
    Ich wußte nicht, ob Mameha mich oder Tatsumo fragte, aber keine von uns antwortete. Sie betrachtete mich mit einem seltsamen Ausdruck – konzentriert, wie

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