Die Geister von Rosehill: Roman (German Edition)
es handelt sich eindeutig um samische Keramik – Stücke einer kleinen Kanne oder Schale, dem Grad der Wölbung nach zu urteilen. Vielleicht gehören sie auch zu zwei verschiedenen Gefäßen. Dies hier«, sagte ich und tippte leicht auf ein Randstück, »scheint nicht zu den anderen zu passen.«
»Und auf welche Zeit würden Sie sie datieren?«
Ich kaute auf meiner Unterlippe. »Aus dem Stegreif würde ich sagen, daß sie aus einer früheren Periode stammen als die, die uns interessiert. Andererseits …« Ohne genaue Laboranalyse kam das Datieren von Töpferware eher einem Ratespiel gleich. Wenn das Stück nicht gerade den Stempel eines bekannten Töpfers trug, konnte man nur auf Vergleiche mit ähnlichen Stücken zurückgreifen, die bei anderen Ausgrabungen gefunden worden waren.
Im Fall von samischer Keramik wurde mir die Aufgabe dadurch etwas erleichtert, daß deutsche Archäologen sich im vorigen Jahrhundert hauptsächlich damit beschäftigt hatten, Gebrauchsgegenstände von römischen Fundstätten in Deutschland zu untersuchen und zu klassifizieren. Auf diese Weise hatten sie eine sehr nützliche und detaillierte Typologie der Keramik der Römerzeit erarbeitet. Das Vorrücken und Zurückweichen des römischen Limes in Germanien war von Geschichtsschreibern wie Tacitus so gut dokumentiert worden, daß Archäologen mit einiger Sicherheit sagen konnten, wann eine Fundstätte besetzt gewesen war, und die dort gefundenen Scherben zeitlich relativ leicht einordnen konnten. Ich wiederum konnte die Fragmente, die mir vorlagen, mit dokumentierten deutschen Fundstücken vergleichen und versuchen, sie anhand von Übereinstimmungen zu datieren.
Erneut berührte ich die ominöse Scherbe. Es war ein Randfragment, abgebrochen vom oberen Rand einer Kanne oder Schale. »Bei dieser hier bin ich mir nicht sicher, sie kommt mir jünger vor. Ich müßte Howard fragen, einen Freund von mir am Britischen Museum«, erklärte ich. »Er ist ganz verrückt nach samischer Keramik und kennt den Namen jedes Töpfers und jeder Werkstatt. Er könnte aus zehn Metern Entfernung einen Blick auf diese Scherben werfen und uns genau sagen, wozu sie einmal gehörten und wann das Gefäß hergestellt wurde. Ich könnte ihm einige Skizzen schicken und ihn um seine Meinung bitten. Und vielleicht könnte Fabia ein paar Fotos machen …?«
Adrian, der auf seinem Schreibtisch herumwühlte, sah gähnend auf. »Gute Idee. Ich suche gleich mal nach ihr – man soll ja nichts aufschieben.«
»Wir können ihr unterwegs Bescheid sagen«, sagte David. »Peter denkt sonst noch, wir hätten ihn völlig vergessen.«
»Na gut, meinetwegen.« Adrian sah enttäuscht aus.
Seine Radarausrüstung war sicher hinter der verschlossenen Tür des Fundstückelagers verstaut, und während er losging, um sie zu holen, nahm ich nachdenklich einen Schluck Kaffee, tastete die Scherbe noch einmal ab und befühlte die erhabene Verzierung, die eine Blüte darzustellen schien. Ich hatte ein ähnliches Muster gesehen, als ich auf Doktor Lazenbys Ausgrabung in Südengland gearbeitet hatte, aber diese Fundstätte wurde auf die Zeit Agricolas datiert, auf die siebenjährige Periode, in der Gnaeus Julius Agricola als Gouverneur Britanniens gedient hatte. Und Agricola war im Jahr 84 nach Christus zurückbeordert worden – etwa vierzig Jahre vor dem Verschwinden der Neunten Legion.
»So, wir machen uns auf den Weg«, sagte David und schwang sich die Sonde auf eine Schulter. »Wir lassen Sie jetzt allein, damit Sie in Ruhe Ihr Frühstück essen können. Und geben Sie es lieber nicht dem Hund, er verträgt keine Eier. Bekommt davon Blähungen wie ein Ballon, der arme.«
In seinen hellen Augen blitzte der Schalk, und ich spielte mit der Idee, ein Würstchen nach ihm zu werfen, aber dann biß ich nur in ein Stück Toast, spülte es mit Kaffee hinunter und setzte mein lieblichstes Lächeln auf. »Ist gut. Viel Spaß dann also.«
Ich wartete, bis ich sein vergnügtes Pfeifen nicht mehr hören konnte, bevor ich zu dem Hund hinuntersah, der es sich unter meinem Stuhl bequem gemacht hatte. Kip erwiderte meinen Blick hoffnungsvoll und schlug einmal auffordernd mit dem Schwanz auf den Boden. »Hör zu, mein Lieber«, sagte ich, »ich mach dir einen Vorschlag. Ich esse die Eier, wenn du alles andere vertilgst. Was hältst du davon?«
Kip hielt offensichtlich sehr viel davon. Der leere Teller glänzte regelrecht, als ich ihn wieder auf einer Ecke meines Schreibtischs abstellte.
Zufrieden
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