Die Geisterseherin (German Edition)
dich eher eingeweiht und dir davon abgeraten.“
Seine Mutter nahm einen letzten Zug von der Zigarette und drückte den Stummel langsam im Aschenbecher aus. Sie erkannte nicht, was in diesem Moment in Yuki vor sich ging. Sie sah nicht, wie seine Hand zitterte und wie er gegen die Tränen ankämpfte, die sich bilden wollten. Oder sie sah es und interpretierte es völlig falsch. Er blieb jedenfalls noch standhaft, er hatte noch die Kontrolle, aber er wusste nicht, wie lange ihm dies noch gelingen würde. Etwas in ihm war zerbrochen, in jenem Moment, als seine Mutter die Wahrheit aufdeckte. Und seit jenem Moment war es in ihm am bersten. Am brodeln und kochen. Es wollte raus.
Ein Fass, dass schon lange randvoll war und nun überlief. „Das war alles... aber willst du denn dazu gar nichts sagen?“ Yuki drehte sich herum, als er merkte, dass er die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte und antwortete seiner Mutter mit leicht zittriger Stimme.
„Was soll ich denn sagen? Es ist doch eh schon beschlossene Sache...“ „Yuki...?“
Seine Mutter hatte die leicht bebende Stimme jetzt doch bemerkt und wollte einen Schritt auf ihren Sohn zukommen, doch er gab ihr per Handzeichen zu verstehen, dass sie stehen bleiben sollte. „Geht es dir gut?“, fragte sie stattdessen stirnrunzelnd.
Gut gehen... Yuki's Innerstes schrie vor Wut, als er die Frage hörte. Als würde es ihm gut gehen... wie sollte es ihm gut gehen, nachdem seine komplette Welt zusammen gebrochen war?
Warum war es nur schon so weit, verfluchte er die Welt. Er hatte immer gewusst, dass dieser Tag einst kommen würde, dass er nicht ewig diese Rolle spielen konnte. Es war ein Wunder, dass sein Körper so lange mitspielte und er noch immer Megumi's Stimmlage traf... dennoch war es nur eine Frage der Zeit, bis sein Körper oder seine Mutter dies für immer beendeten.
Dennoch hatte er sich jeden Tag gewünscht, dass dieser Moment noch in ferner Zukunft lag. Leider aber vergeblich. Der Tag war nicht in einem Jahr, im nächsten Monat oder gar morgen... er war hier und heute.
Und obwohl er alle Möglichkeiten im Geist durchgegangen war, hatte er jetzt nicht die Kraft, auch nur eine davon umzusetzen. Dabei war es doch so einfach. Er musste nur...
Sein Herz klopfte wie verrückt und seine Hand verkrampfte sich zu einer Faust.
Ja, er musste sich nur umdrehen. Er sah sich selbst, wie er es tat. Wie ein Film, der ihm zeigte, was er tun könnte. Er sah sich umdrehen, zu seiner Mutter.
Mit Wut im Gesicht, aber ohne Trauer im Herzen... den Mund öffnend und seiner Mutter sagend, was er ihr schon so lange hatte sagen wollen.
„Du kapierst es nicht, oder? Ich bin Megumi!“
Aber er blieb ruhig... er konnte es nicht sagen. Er hatte Angst davor, höllische Angst. Die hatte er von Anfang an gehabt, vom ersten Tag an... zuerst unbewusst, aber immer vorhanden. Was würde passieren, wenn er ihr sagte, dass er so bleiben wollte, wie er jetzt war? Würde sie es akzeptieren oder... was wahrscheinlicher war... gar als verrückt bezeichnen?
Nein, er konnte es nicht sagen, denn wenn er es nur versuchte, sah er sich bereits bei dutzenden Psychiatern auf der Couch liegen. Psychiater, die versuchten, ihn „zu heilen“, wo es nichts zu heilen gab. „Ich bin auf meinem Zimmer...“, murmelte er stattdessen und zog damit sprichwörtlich den Schwanz ein. Er wusste, dass er vor der Realität davon lief und dass ihm die Zeit durch die Finger rann. Aber er konnte es ihr nicht sagen... nicht jetzt, nicht heute.
Ihm fehlte einfach der Mut.
Aber er konnte doch auch nicht mehr zurück, in sein altes Leben aus jener Zeit, als Megumi noch lebte. Dieser Yuki existierte schon lange nicht mehr. Er war gestorben, vor langer Zeit... und er war nun einmal die Person, welche sich aus Yuki gebildet hatte.
Sayuri, die sich in Yuki's Zimmer aufhielt, weil seine Mutter sie dorthin geschickt hatte, erschrak furchtbar, als Yuki plötzlich die Tür aufriss und mit rot verquollenen Augen, aus denen dicke Tränen flossen, in das Zimmer herein stürzte.
„Oh Gott... Yuki!“
Sie wollte etwas sagen, doch bevor sie fragen konnte, was eigentlich genau passiert war, hatte er sie bereits an ihrem Arm gepackt und mit all seiner Kraft aus dem Zimmer geworfen. Sayuri flog nicht nur sprichwörtlich durch die Tür und landete unsanft auf dem Gang, die schwere Holztür hinter ihr schloss sich mit einem lauten Knall, kaum dass sie durch sie durch war.
„Yuki...?“
Sie konnte hören, wie er die Tür abschloss und schließlich
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