Die Geisterseherin (German Edition)
vorbei. Also... die Kleine kommt hier rein, hat kaum Klamotten und nicht genug Geld für die Weiterfahrt und fragt mich, ob sie hier arbeiten kann.“
„Sie haben einer Ausreißerin Arbeit gegeben, obwohl sie eventuell sogar minderjährig war?“
Kinoshita hielt das für ein wenig unglaubwürdig. Das waren gleich zwei Straftaten in einer. Die Verheimlichung des Aufenthaltsort einer vermutlich vermissten Person und die Beschäftigung einer Minderjährigen in einer Bar.
„Hey, schauen Sie mich nicht so an, was sollte ich tun? Ich hab dem besagten Brummifahrer einen Gefallen geschuldet... und wenn er noch immer leben würde, dann würde ich ihm jetzt noch viel mehr schulden. Wissen Sie, dieses Mädchen... die war ein Geschenk des Himmels.“
Der Mann, anscheinend noch immer ein gläubiger Christ und damit Anhänger einer Religion, die es in Japan praktisch gar nicht gab, bekreuzigte sich bei diesen Worten einmal und Kinoshita musste lachen, erntete damit ein paar neugierige Blicke der drei Männer am Stammtisch und einen bösen von dem Inhaber der Kneipe. „Aye, lachen Sie ruhig, aber dieses Mädchen hat die Kneipe gerettet. Ohne Sie wären wir pleite.“
„Warum? Was hat Sie getan? Im Lotto gewonnen und euch einen Teil des Geldes gegeben?“
„Ach was, im Gegenteil. Sie hat hier gearbeitet und immer jeden einzelnen Yen dreimal umgedreht, nie etwas gekauft, dass sie nicht dringend benötigte. Irgendwann hab ich ihr von mir aus sogar neue Klamotten gekauft, weil ich es einfach nicht mehr mit ansehen konnte.“
„Und weiter?“
„Naja, ich stellte sie halt ein, teilte ihr da oben ein Zimmer zu, am Ende des Ganges, da sie ja ein junges Mädchen war. Wollte sie nicht in die Nähe von den dicken Brummifahrern stecken, die hier manchmal schliefen... einige von denen waren... nun, sagen wir es so: Sie hätten das Mädchen nicht glücklich gemacht. Sie begann jedenfalls noch am gleichen Tag für mich zu arbeiten. Hier an der Theke, obwohl ich sie erst hinten in der Küche haben wollte, aber sie hat sich dort nicht halten lassen. Ist den ganzen Abend hin und her geflitzt, hat die Gäste unterhalten... hab noch nie jemanden so schnell aufblühen sehen. Als sie in der Tür stand, da war sie noch total schüchtern, aber am Abend... ich sag Ihnen, die war wie ausgewechselt.“
Kinoshita lauschte der Geschichte interessiert, hielt sie aber nur für üblichen Kneipentratsch.
„Und das hat die Kneipe gerettet?“
„Ja, klar. Yumi, so hat die Kleine sich genannt und nein, ich habe keine Ahnung, ob das ihr richtiger Name war, hat die ersten drei Jahre nach dem Ausbruch des Virus hier gearbeitet und ihre Art... das hat die Runde gemacht. Mundpropaganda... ist effektiver, als jede Werbung dieser Welt.“
„Sie war so beliebt, dass die Leute wegen Ihr hierher kamen?“ „Kaum zu glauben, hab es ja selbst nicht fassen können. Wir haben damals echt gut verdient... schon überlegt, ob wir ausbauen...“ „Aber das ist nicht geschehen“, meinte Kinoshita mit Blick auf die noch immer winzige Kneipe.
„Nee, sie war eh viel länger da, als sie wollte.“
„Oh... ich habe jetzt ein trauriges Ende der Geschichte erwartet.“ „Quatsch, die Kleine ist nicht am Virus verendet... die meisten ihrer Verehrer vermutlich aber schon.“
„Und was ist dann aus ihr geworden?“
Inzwischen zeigte sich Kinoshita tatsächlich interessierter, als er eigentlich wollte. Im Laufe der Geschichte hatte der Inhaber ihn regelrecht in seinen Bann gezogen.
„Bin mir nicht sicher, ich weiß nur, dass sie nach Sapporo wollte.“ „Warte mal... Sapporo?“
Jetzt stockte Kinoshita und sein, doch ein wenig vom Alkohol beeinflusstes, Gehirn begann die Geschichte im Schnelldurchlauf noch einmal zu wiederholen.
Eine Ausreißerin kommt aus dem Süden mit einem Brummifahrer und arbeitet hier, will aber unbedingt nach Sapporo? Das klang fast genauso, wie...
„Was ist mit Ihnen, Sie sind so bleich geworden? Ist Ihnen der Sake nicht bekommen? Aye, kotzen Sie mir nicht auf meinen guten Boden... da hinten hat es Toiletten.“
„Es geht schon...“ Kinoshita winkte ab. Außerdem hatte der Mann von einem Mädchen namens Yumi geredet... deren Name nur ein Buchstabe von Yuki entfernt war... und die Geschichte passte auch, wie die Faust aufs Auge.
Nur das Geschlecht passte nicht... ironisch, wie zwei Geschichten so gleich sein konnten.
„So bleich, wie sie sind... Sie kennen das Mädchen doch nicht etwa? Von früher... als Sie Bulle waren?“
„Nein... aber... wissen
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