Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
Stubben und Wurzeln, der Jäger muss die Leine loslassen und nach dem Hindernis wieder fest fassen. Der Schweiß läuft über die Stirn und in den Nacken, das Herz klopft, als ob es zerspringen will, und an der Wange hat er sich mit dem Gewehrkolben gestoßen, weil die Flinte beim Laufen hin und her geschleudert wird. Da wird es einen blauen Fleck geben. Egal! Der Förster, außer Atem wie sein Jagdgenosse, ruft von hinten, ob er ihn ablösen soll, doch der hitzige Verleger schüttelt den Kopf; er will nur weiter vorwärts, endlich seinen Hirsch auffinden. Eine kurze Pause machen sie aber doch, obwohl der Drahthaar, und inzwischen auch die Bracke, an ihren Leinen zerren und kaum zu halten sind.
Ies nischt me weit hi!
brummt der erfahrene Förster und zieht einen Flachmann aus der Brusttasche.
Dosch trinken mer erscht!
Sie setzen sich auf einen großen Kiefernstumpf, das aufragende Splitterholz dient als Rückenlehne.
Das musch ietz! Prosit!
Fehsenfeld nimmt den Schnaps, dankt und trinkt, setzt ab, trinkt noch einmal. Ahhh, guut! So, nun kann’s weitergehen.
Auf dem Kahlschlag, über den es jetzt geht, ist es leichter. Fast eine Erholung nach der Schinderei. Auch trägt sie der Schnaps wie von selbst. Doch die Freude ist kurz, denn der Hund biegt mit starkem Zug wieder nach rechts in eine filzige Deckung. Jetzt wird es richtig schwierig. Platsch, quatsch, ritsch, ratsch. Alle Augenblicke von unten nass und unwegsam, von oben Backenstreiche durch die Fichtenzweige, Spinnweben, Kiengallen, alles muss ausgespuckt werden, weil es beim Laufen in den halb offenen Mund gelangt ist. Wieder kommt ein Graben. Der Ausweichversuch scheitert, weil der Hund wie ein Untier zerrt. Diesmal versinkt Fehsenfeld bis zum Gürtel in kalten moorigen Schlamm. Der Förster ruft von hinten seinem Hund ein Kommando zu. Doch das Tier hört nicht, es ist wie besessen vom Jagdeifer. Gott sei Dank behält der Jäger diesmal den Riemen in der Hand, aber der Zug wird so stark, dass er glaubt, sein Arm wird aus der Schulter gerissen. Hoch! Weiter! Vorwärts! Raus aus dem Graben. Die Mütze geht verloren. Der Hund zieht den Jäger mit sich durch peitschendes Gezweig, ohne Rücksicht, nur vorwärts, vorwärts. Auf einmal vor ihnen Lärm. Es brechen größere Äste, ein Poltern aus nächster Nähe.
Der Hirsch ist aufgesprungen, bricht in Panik durchs niedere Holz.
Mit drei Sätzen ist Fehsenfeld am Wundbett, der Förster, schnaufend, Blatt- und Ästekrümel, Spinnweb im weißen Haar, steht Sekunden später neben ihm. Franz, der Jagdhund, im Blutrausch, ist kaum zu halten. Die Bernsteinaugen leuchten wie Glühkohlen, die Zunge hängt aus dem Fang, lang, lachsfarben. Der Förster versucht ihn zu beruhigen, liebelt ihn ab, hält ihm die Nase zu. Dann kniet er nieder, wo der Hirsch, angeschossen und blutend, gelegen hat. Die Männer blicken sich an. Sie wissen, ohne zu reden, was jetzt folgen muss.
Der Hund muss von der Leine!
Franz, der Deutsch-Drahthaar, freudig, mit einem wütenden entschlossenen Jauchzer, verschwindet in der Dickung. Auch die Bracke Sirte wird abgeleint. Sie jagt ohne einen Laut dem Försterhund nach. Fehsenfeld und der Förster, die Jagdgenossen, stehen da, erleichtert, aber auch ein wenig dumm, wischen sich Astreste, Fichten- und Kiefernnadeln, kleine Blättchen, Spinnweb von Kopf und Schultern. Das dauert indes nur einen Augenblick, danach, beinahe glaubt man, dass sich ihre Ohren gerötet und vergrößert haben, lauschen sie angestrengt, woher das Alarmgeläut der Hunde kommt. Sie müssen warten. Doch für eine Zigarre bleibt Zeit. Diesmal bietet der Verleger dem Förster an. Das prächtige Silberetui blinkt im Zwielicht des Waldes. Kalte, klamme Finger greifen nach den Tabakspindeln. Die Männer rauchen. Neben dampfender Nässe, die aus den Kleidern der Männer kommt, steigt jetzt der blauweiße duftende Zigarrenrauch zum Himmel auf. Noch geht ihr Atem schwer, sie sind in Hitze, sie schauen auf die Stelle, wo die Hunde im dicken Geäst verschwunden sind, sie schweigen und warten. Es ist still, von den Hunden nichts zu hören; nur die ewigen Laute des Waldes, das leise Knacken von Ästen, das Windrauschen in den Wipfeln und vereinzelte Vogelrufe, sind zu vernehmen. Als ob sie den Atem angehalten hätten, piepsen auf einmal um die beiden Jäger die Goldhähnchen in den Zweigen ringsum, erhebt der Kreuzschnabel, irgendwo, von der Jagd aufgestört, seinen Ruf, raschelt eine Drossel durchs Laub, entfernt sich ein Igel eilig vom Ort
Weitere Kostenlose Bücher