Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
kleinen dicken, rosigen Hand den Mund zuhielt.
»War es wegen Chaval? Hattest du Angst, ich würd dich verpfeifen?«
Marcel seufzte.
»Ja. Tut mir leid, Choupette, ich hätte dir davon erzählen sollen, aber ich war wie blockiert.«
»Ist nicht so schlimm. Wir vergessen einfach alles und fangen noch mal ganz von vorne an. Aber wehe, du misstraust mir jemals wieder!«
»Nie wieder …«
Er stand auf, steckte eine Hand in die Tasche und zog den Schlüsselbund für die Wohnung heraus.
»Das ist für uns. Fix und fertig eingerichtet, dekoriert und rausgeputzt. Es fehlen nur noch die Vorhänge im Schlafzimmer … Ich konnte mich bei den Farben nicht entscheiden, und ich wollte nicht, dass du Ausschlag bekommst, weil ich was Hässliches aussuche …«
Josiane nahm die Schlüssel und zählte sie.
»Das sind schöne Schlüssel, schön groß, schön schwer … Die Schlüssel zum Paradies! Wo wohnen wir denn?«
»Gleich nebenan. So hab ich’s nicht weit, um dich zu vögeln, mit dir rumzuturteln und zu sehen, ob der Kleine Fortschritte macht…«
Er legte eine Hand auf Josianes Bauch, und seine Augen füllten sich mit Tränen.
»Strampelt er schon?«
»Wie ein Ausreißer bei der Tour de France. Wart nur ab, gleich verpasst er dir ’nen Tritt, der dir das Handgelenk bricht. Unser Junior ist ein temperamentvolles kleines Kerlchen!«
»Genau wie sein Vater«, entgegnete Marcel stolz und massierte ihren runden Bauch in der Hoffnung, dass Junior aufwachte. »Kann ich mit ihm reden?«
»Das soll man sogar. Stell dich ihm erst mal vor. Ich war ziemlich lange sauer auf dich, also hab ich ihm noch nicht viel von dir erzählt.«
»Oh! Du hast aber hoffentlich nichts Schlechtes über mich gesagt…«
»Nein. Ich hab das Thema gemieden, aber ich hatte ’ne Stinkwut
auf dich, und du weißt ja, wie die Kleinen sind: Die merken alles! Also solltest du erst mal ein bisschen gut Wetter machen …«
Als Ginette in diesem Moment das Büro betrat, wurde sie Zeugin einer bizarren Szene: Marcel kniete vor Josiane und redete mit ihrem Bauch.
»Hallo, Junior, ich bin’s, Papa …«
Die Stimme versagte ihm, und er brach schluchzend zusammen.
»O verdammt! Seit dreißig Jahren warte ich darauf, seit dreißig Jahren! Ob ich mit dir reden will, Junior? Ich werd dich so zuquatschen, dass du dir da drinnen die Ohren zuhältst! Josiane, wenn du wüsstest … Ich bin der glücklichste Mann auf der Welt …«
Josiane gab Ginette ein Zeichen, später wiederzukommen. Ginette gehorchte bereitwillig und überließ die beiden Traumeltern ihrem Wiedersehen.
Joséphine hatte die Bibliothek gewechselt. Das machte ihr Leben etwas komplizierter, aber sie fand sich damit ab. Wenigstens lief sie so nicht Gefahr, unversehens Luca, dem schönen Teilnahmslosen, gegenüberzustehen. So nannte sie ihn, wenn er sich in ihre Gedanken einschlich. Und das war es wert, zweimal den Bus zu wechseln, schimpfend darauf zu warten, dass der 174er auf den 163er folgte, und später nach Hause zu kommen.
Und so stand sie also im 174er, eingeklemmt zwischen einem Kinderwagen, dessen Griff sich in ihren Bauch bohrte, und einer Afrikanerin im Boubou, die ihr ständig auf die Füße trat, als plötzlich ihr Handy klingelte.
»Joséphine? Ich bin’s, Luca …«
Sie brachte keinen Ton heraus.
»Joséphine?«
»Ja«, stammelte sie.
»Ich bin’s, Luca. Wo sind Sie gerade?«
»Im 174er …«
»Joséphine, ich muss mit Ihnen reden.«
»Ich glaube nicht, dass …«
»Steigen Sie an der nächsten Haltestelle aus, ich hole Sie ab …«
»Aber …«
»Ich muss Ihnen etwas sehr Wichtiges sagen. Ich erkläre Ihnen nachher alles. An welcher Haltestelle sind Sie gleich?«
»Henri-Barbusse«, flüsterte sie.
»Ich bin gleich da.«
Und schon hatte er aufgelegt.
Joséphine war wie vor den Kopf geschlagen. Es war das erste Mal, dass sie Luca in diesem energischen, drohenden Ton reden hörte. Sie war nicht sicher, ob sie ihn wirklich wiedersehen wollte. Sie hatte seine Nummer aus dem Speicher ihres Handys gelöscht.
Sie trafen sich an der Bushaltestelle. Luca nahm sie beim Arm und zog sie mit festem Griff hinter sich her, während er sich nach einem Café umschaute. Als er eines entdeckte, verstärkte er den Druck seiner Finger an ihrem Arm, sodass sie sich nicht losmachen konnte. Mit großen Schritten steuerte er auf den Eingang zu, während sie mit kleinen, schnellen Schritten hinter ihm herhastete.
Er zog seinen Dufflecoat aus, bestellte für sich
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