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Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition)

Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition)

Titel: Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Pilastro
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Ausgangshaltung eingenommen
– und auch das wieder vollkommen gleichzeitig. Ich konnte mir nicht erklären,
wie sie das bewerkstelligten. Gebannt verfolgte ich das Geschehen weiter.
    Der Anführer hob nun in einer langsamen,
fließenden Bewegung das rechte Bein mit angewinkeltem Knie bis auf Brusthöhe.
Dann streckte er das Knie durch, bis das gesamte Bein eine Linie von der Hüfte
bis zum Fußballen bildete. Es sah aus, als trete er gegen eine imaginäre Wand.
    Eine Weile verharrte er in dieser Position,
klappte dann das Knie wieder genauso langsam ein und senkte das Bein, bis er es
schließlich wieder in der Grundhaltung auf den Boden stellte. Diese Bewegung
war für die Zuschauer äußerst bemerkenswert, weil er die ganze Zeit über völlig
stabil auf einem Bein stand ohne zu Wanken – und das bei dieser äußerst
langsamen Ausführung. Völlige Begeisterung verspürten wir jedoch, als er gleich
danach dieselbe Bewegung in einer so enormen Geschwindigkeit noch einmal
ausführte, dass es – mir zumindest – unmöglich war, seinen rechten Fuß im Auge
zu behalten.
    Mit gleicher Präzision führte er die Übung mit dem
linken Bein durch: erst langsam und dann schnell. Am Ende nahm er wieder die
Grundstellung ein und gab seinen Männern das Kommando, die Übung nun ebenfalls
einmal langsam und dann fünfmal schnell durchzuführen. Als die fünfundzwanzig
Männer gleichzeitig die Tritte demonstrierten, ging ein gedämpftes Raunen durch
die Reihen der Zuschauer. Es war für viele unfassbar, diese fehlerfreie,
synchrone und präzise Bewegungsabfolge zu sehen.
    Für mich auch.
    Im weiteren Verlauf der Darbietung zeigten die
Männer noch verschiedene Fauststöße, Tritte und Blöcke, die sie jeweils in der
gleichen Weise, erst langsam und dann schnell, vorführten.
    Die ganze Zeit beobachtete ich diesen einen Mann in seinem schwarzen Gewand. Er war mit seiner gesamten Konzentration bei
seiner Übung und bei seinen Männern, und er versprühte für mich dabei eine
solche enorme Attraktivität, wie ich sie vorher noch bei keinem Mann gespürt
hatte. Fast schien es mir, als würden die anderen um mich herum im Saal gar
nicht mehr existieren; ich hatte nur noch Augen für diesen Mann. Alle seine
Bewegungen waren fließend, genau und dabei so kraftvoll, dass ich die
Muskelanspannungen in seinen Bewegungen förmlich spürte; irgendwie hatte ich
das Gefühl, als wäre er eins mit dem Raum, in dem er sich bewegte.
    Ein leises Räuspern Cheng-Sis riss mich jäh aus
meinen Gedanken und ich bemerkte erst jetzt, dass ich den Mann wohl die ganze
Zeit mit offenem Mund angestarrt haben musste. Peinlich ergriffen versuchte ich
die Gedanken der letzten Minuten zu verdrängen und so beiläufig wie möglich dem
Rest des Schauspiels zu folgen. Dabei blickte ich immer wieder verstohlen zum
Kaiser um zu sehen, ob meine verträumten Blicke mich vielleicht verraten
hatten. Zu meiner großen Erleichterung schien er nichts davon bemerkt zu haben,
da auch er sehr aufmerksam die Vorstellung beobachtet hatte. Beruhigt konnte
ich mich zurücklehnen und den Rest der Darbietung entspannt weiter verfolgen.
    Die bald untergehende Sonne ließ den Saal in einem
leichten Orange-Rot erstrahlen und legte einen angenehmen, warmen Schein über
alle. Ich genoss diesen Moment sehr.
     
    Die Darbietung endete damit, dass Trommelschlag erklang
und die Soldaten zu diesem eindringlichen Rhythmus gemeinsam mit ihrem Anführer
alle vorher einzeln gezeigten Techniken in einem kombinierten Bewegungsablauf
vorführten, bei dem sie abwechselnd Blöcke, Schläge und Tritte gegen imaginäre
Gegner ausführten. Das alles wirkte auf mich wie ein Tanz. Ich war fasziniert
von den völlig synchron ausgeführten, schwungvollen und doch äußerst präzise
und kraftvoll wirkenden Bewegungen dieser Männer. Aber einer beeindruckte mich
am meisten: der Mann, der sie alle anführte. Er hatte sich zum Schluss so
gedreht, dass ich nochmals sein Gesicht sehen konnte. Er war so konzentriert in
seiner Sache gewesen, dass er nichts anderes, nicht einmal den Kaiser, zu
bemerken schien.
     
    ***
     
    Shenzong, der jede einzelne Übung der Soldaten
sehr genau beobachtet hatte, erkannte, dass er, was sein Heer betraf, zuversichtlich
in die Zukunft blicken konnte. Das Verhalten dieser Auserwählten unterschied
sich sehr von dem, was er bis jetzt von seinem Heer gekannt hatte. Mi Kejian
hatte seine Untergebenen teilweise zu groben Schlägern ausgebildet, während die
restlichen Soldaten unter

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