Die Geliebte des Normannen
drehte sich um und blinzelte wütend mit den dichten, schwarzen Wimpern. Überrascht stellte er fest, dass ihr Gesicht gramzerfurcht war.
»Ihr habt mich erschreckt!«
»Das war nicht meine Absicht.«
Er war versucht, ihre Wange zu berühren, doch sie wich zurück, bevor er dieser Verlockung erliegen konnte, und straffte die Schultern.
»Warum weint Ihr?«, fragte Geoffrey.
Wie gut er sie verstand. Sie hasste es, von ihm in einem Moment der Schwäche angetroffen zu werden.
»Der König gibt mich Henry Ferrars«, antwortete sie schluchzend.
Geoffrey zögerte; doch da ihre Pein nicht gespielt war, nahm er sie in die Arme. Natürlich war Ferrars nicht mit Stephen vergleichbar. Der König hatte seine Loyalität mit einem riesigen Lehen in Tutberry belohnt, und er war ein hervorragender Soldat, aber von niederem Stand.
»Er ist ein guter Mann, Adele. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass er Euch liebt – wenn nicht schon jetzt, dann bald.« Er hielt sie fast behutsam. An diese Rolle war er nicht gewöhnt.
Adele drückte ihn von sich und blickte ihn bestürzt an. Ihre Nasenflügel bebten.
»Es ist mir gleichgültig, was er fühlt! Der König hat mich beleidigt, und das nur wegen meines verdammten Bruders, Roger! Und Stephen und Mary machen sich lustig über mich mit der öffentlichen Zurschaustellung ihrer Liebeslust!«
»Lady Beaufort«, erwiderte Geoffrey und versuchte alles, um nicht zu zittern, so sehr war sich sein Körper des ihren bewusst, »niemand würde sich über Euch lustig machen.«
Sie bewegte sich nicht. In diesem Augenblick veränderte sich ihr Ausdruck, und sie wurde sich seiner Person und seiner wachsenden Lust bewusst.
»Ihr habt mich gemieden«, flüsterte sie und legte die Hände auf seine Schultern.
»Ja, das ist richtig.«
»Weshalb?«
»Das könnt Ihr nicht verstehen.«
Und Geoffrey bedauerte, sie berührt zu haben, denn er wusste, dass er kurz davor war, sich seiner Lust zu ergeben – und gleichzeitig bedauerte er es ganz und gar nicht. Wie konnte er diesen Kampf überleben, dem er sich auf ewig stellen musste, der weit wichtiger war als jeder andere, der Kampf um seine Seele? Wenn er auch nur ein Quäntchen Gottgefälligkeit in sich hatte, würde er zurückweichen. Er bewegte sich nicht.
Adele packte ihn fest an den Schultern.
»Warum seid Ihr so nett zu mir?«
»Ihr wart betrübt.«
Sie blinzelte, um neuerliche Tränen zurückzuhalten. »Niemals war irgendjemand nett zu mir, mein ganzes Leben lang nicht. Ist das nicht komisch?«
»Ihr übertreibt, Lady Beaufort.«
»Nein.« Sie schüttelte heftig den Kopf. »Meinen Eltern war ich gleichgültig, weil ich nicht der Junge war, den sie unbedingt haben wollten. Dann starb mein Vater, als ich noch ganz klein war, und meine Mutter wurde William Beaufort gegeben. Mit zehn Jahren war ich Waise. Das habt Ihr nicht gewusst? Beaufort und meine Mutter wurden bei einem Überfall von Rebellen im Norden getötet. Mein Stiefbruder,« sie spuckte das Wort förmlich aus, »ist zwei Jahre lang nicht gekommen, um nach mir zu sehen, und er war mein Vormund. Und dann, dann wollte er nur das Eine.« Ihr Mund verformte sich zu einer hässlichen, dünnen Linie. »Sprecht also nicht über Dinge, von denen Ihr nichts wisst! Ich übertreibe nicht.«
»Es tut mir leid«, sagte er, zog sie an sich und küsste sie wie eine Geliebte, mit vollkommener Aufmerksamkeit.
Zunächst war dieser Kuss ein bedächtiges Hin und Her, doch dann veränderte er sich plötzlich. Ihre Zungen stießen aufeinander, spielten miteinander. Adele wich keuchend zurück.
»Ich dachte, Ihr seid hart und gefährlich. Ich hielt Euch nicht für nett.«
»Im Augenblick bin ich auch nicht nett, Lady Beaufort.« Seine blauen Augen sprühten.
Ihre Blicke trafen sich.
»Im Moment möchte ich auch nicht, dass Ihr nett seid, Mylord.«
»Dann lasst uns die Hochzeit miteinander feiern«, sagte Geoffrey.
Doch schon während er sie erneut küsste, wusste er, dass er so nur das Begehren in seinen Lenden lindern konnte, nicht den Schmerz in seiner Brust. Er wusste, dass danach seine innere Leere weitaus größer sein würde als zuvor.
Stephen behandelte Mary wie eine Geliebte. Sie teilten das Brautbier miteinander, und jeder Bissen, der über ihre Lippen ging, war sorgfältig von ihrem Gemahl ausgewählt und wurde ihr auch von ihm gereicht. Für Worte war keine Zeit; tatsächlich hätte Mary keine Worte gefunden, wenn sie es denn versucht hätte. Es war eine Zeit hoher Achtsamkeit und
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