Die Geliebte des Normannen
Seele zu reinigen, und so tauchte er noch einmal unter.
Es war eine lange, zwei Tage andauernde Schlacht gewesen, aber Carlisle war gefallen, wie es nicht anders zu erwarten gewesen war.
Carlisle war eine große Stadt und wurde nur von einer einzigen Festung bewacht, die vor einigen Jahrzehnten in großer Hast erbaut worden war. Die Mauern darum herum waren noch immer die ursprüngliche Holzkonstruktion. Eine solche Bauweise verlangte im Normalfall den Einsatz von Feuer, doch der endlose Regen der vergangenen Monate hatte ein anderes Vorgehen erforderlich gemacht, bei dem Katapult und Rammbock zum Einsatz gekommen waren. Die morschen Wände, die schon vor Jahren hätten ersetzt werden müssen, waren im Nu gefallen, die Festung innerhalb einer Stunde gestürmt.
Der wirkliche Kampf hatte erst danach begonnen, als die Lords der Gegend zur Verteidigung ihres Gebiets anrückten. Doch bis zum Einbruch der Nacht waren auch sie geschlagen, nachdem ihre Zahl zuvor stark dezimiert worden war. Als Nächstes war im Morgengrauen Malcolms Heer erschienen und in dem Bestreben, Carlisle zurückzugewinnen, sofort zum Angriff übergegangen; zu diesem Zeitpunkt jedoch hatten die Normannen bereits die strategisch wichtigen Positionen besetzt und damit alles unter Kontrolle.
Malcolm hatte sich davon allerdings nicht abhalten lassen, und so hatte das wilde Gemetzel noch einen Tag länger gedauert.
Als sich die schottische Armee endlich – und mit allem Grund, denn ihre Sache war verloren – zurückzog, sah Stephen Malcolm in den Steigbügeln stehen und drohend die Faust gegen ihn schütteln. Es war klar, dass Canmore ihn verfluchte und Rache schwor.
Stephen seufzte, aber seine Zähne klapperten so sehr, dass es mehr wie ein Stöhnen klang. Eilends zog er die frischen Kleider an, die er mitgebracht hatte. Er wollte nicht an Malcolm in seiner Niederlage und seiner Wut denken, denn sonst musste er an seine Gemahlin denken. Seine Gemahlin. Er wollte sie aus seinen Gedanken verbannen. In der Tat hatte er jeden Gedanken an sie vermieden, seit er sie auf ihr Zimmer verwiesen hatte.
Eine neue Härte war in sein Herz gekommen, und auch Verbitterung, die von der schrecklichen Ernüchterung herrührte. Einer Ernüchterung, die für einen Mann seines Alters und seiner Erfahrung eigentlich zu früh kam. Stephen wusste, dass er ein Narr war, doch dieses Wissen beschwichtigte ihn nicht.
In den Tagen nach ihrer Hochzeit hatte Mary ihn überrascht. Das hinterlistige, kluge kleine Biest hatte sich über Nacht in eine zärtliche Ehefrau verwandelt. Sie war mit einer Leichtigkeit zur perfekten Gemahlin geworden, als habe sie sich ihr ganzes Leben lang nach genau dieser Rolle gesehnt. Stephen wusste, dass das nicht die Wahrheit sein konnte. Seine Gemahlin war keine gewöhnliche Frau und auch keine gewöhnliche Prinzessin; die Rolle, nach der sie sich sehnte, konnte fraglos nur einem Mann zustehen. Denn Mary wäre viel lieber am Verhandlungstisch gesessen als am Spinnrad – zumindest hatte er das gedacht. Aber sobald sie verheiratet waren, schien es, als würde nichts anderes für sie von Bedeutung sein als eben dies, als sei dies ihr einziger, ihr großer Traum.
Seine Miene wurde mürrisch. Wieder schoss ein Schmerz in seine Brust, und dieses verderbte, aufwühlende Gefühl des Verrats. Es war alles eine Illusion gewesen, die nun gründlich zerstört war.
Hatte er nicht gewusst, dass es dazu kommen würde?
Hatte er nicht gewusst, dass sie, vor die Wahl gestellt, sich für Malcolm entscheiden würde?
Stephen fühlte keine Schuld und kein Bedauern mehr. Er hatte seine Pflicht getan, so wie er sie immer tun musste. Seine persönlichen Gefühle durften niemals die Loyalität zu seinem König beeinträchtigen. Irgendwie freute er sich, dass es so weit gekommen war. Durch die hinterhältige Invasion des Königs in Carlisle hatte Mary ihr wahres Gesicht gezeigt, eine Verräterin in seinen eigenen Reihen.
Das tat sehr, sehr weh.
Kurzzeitig war er von ihr überwältigt gewesen; er hatte geglaubt, ihre Ehe würde alle Erwartungen übertreffen. Kurzzeitig hatte er die hasserfüllte Geschichte vergessen, die ihnen gemeinsam war. Wie sehr sie ihm in diesen wenigen Tagen gefallen hatte! Jedes Detail hatte er in sich aufgenommen, das sie in sein Leben brachte, jede noch so kleine oder große Anstrengung ihrerseits, sein Leben angenehmer zu machen. Er war überaus angetan und in geradezu absurder Weise dankbar dafür gewesen. Es hatte den Anschein gehabt,
Weitere Kostenlose Bücher